"Wachsen und stärker werden" ist für den Fernost-Experten und Journalisten Ulrich Schmid Chinas Ziel, um eines Tages die USA als Weltmacht Nummer 1 abzulösen. Unmöglich scheint dies nicht, verfügten die Chinesen doch über ein "kapitalistisches Temperament". Allerdings sei dieser Weg mit vielen Risiken verbunden, da offen sei, wie lange sich die vom Regime betriebene Modernisierung mit dem Machtanspruch der Kommunisten vereinbaren lässt. Schmid weilte auf Einladung des Österreichischen Büros für Sicherheitspolitik in Wien.
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Chinas Führung lebt im Bewusstsein einer 5.000-jährigen Geschichte - da wird Zeit zu einem relativen Faktor, erläutert Schmid, langjähriger China-Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung". Zwar werde der Weg zur Nummer Eins nicht von heute auf morgen passieren, doch sei er das langfristige Ziel, um so die Demütigungen durch den Westen im 19. und frühen 20. Jahrhundert vergessen zu machen.
Daran, dass dies gelingen wird, hegt Schmid keinen Zweifel. Die chinesische Führung habe die Politik von Michael Gorbatschow und die Folgen, die durch sie hervorgerufen wurden, sehr genau studiert. Schließlich trat Gorbatschow nicht an, das sowjetische Imperium zu zerstören und die Kommunistische Partei zu entmachten. Und trotzdem waren genau dies die Folgen seiner Liberalisierungs- und Öffnungspolitik. Auch vor diesem Hintergrund meint Schmid, dass die "Chinesen alles ein bisschen schlauer machen als die Russen". Etwa was die Bereicherung der Eliten im Zuge der Privatisierung betrifft. Chinas Nomenklatura gehe hier längst nicht so hemmungslos wie die russische vor.
Trotzdem würde auch in China selbst die Korruption als so schlimm betrachtet, dass sie die Fundamente des kommunistischen Regimes zu erodieren drohe. Die zum Teil rigorosen Kampagnen gegen Korruption innerhalb der Partei seien vor diesem Hintergrund zu sehen, wenngleich, wie Schmid sogleich anmerkt, sie "natürlich auch als ein praktisches Mittel zur Ausschaltung unliebsamer Personen" betrachtet werden müssen.
Mit Indien, das China im Jahre 2010 als bevölkerungsreichstes Land ablösen werde, Russland, China selbst und eventuell Japan werde Asien zu einem Spielplatz gleich mehrerer Großmächte. Im günstigsten Fall würden diese miteinander rivalisieren, im schlimmsten einander bekriegen. So könnte etwa die Mongolei Opfer des Expansionsdranges Chinas werden. Wie Russland für diesen Fall reagiert, bleibe die große Unbekannte.
Seriöse Aussagen über eine Demokratisierung Chinas sind für Schmid aus heutiger Sicht unmöglich: Innenpolitische Wirren seien nicht ausgeschlossen, und niemand wisse, "was dann heraus kommt". Die KP habe ein "grundsätzliches Problem" mit der Modernisierung, da diese mit ihrem Machtanspruch auf Dauer unvereinbar sei. Mit der Modernisierung wachse die Mittelklasse, und diese werde unweigerlich mehr Partizipation fordern. Aber auch die Rückkehr zu den ideologischen Wurzeln des Kommunismus hält Schmid für möglich.