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Als letzter Schrei im Sinne von dernier Cri des gerade Trendigen gilt, am abendländischen Glaubenssymbol anzurempeln. Wohlgemerkt: Es sind nicht die Vertreter anderer Kulturen, die über allerlei Eingaben das Kreuz verschwinden lassen wollen. Die üben sich schon deshalb in Akzeptanz, um auch für ihre Glaubenssymbole in möglichst naher Zukunft Platz auf diversen öffentlichen Wänden einfordern zu können. Vielmehr sind es Angehörige der Mehrheit des alteingesessenen Staatsvolkes, die ihr Anstoßnehmen für besonders aufgeschlossen, tolerant und modern halten.
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Dabei genießen sie, dass ihre Umgebung diese Rempelei als Zeichen besonderer Bildung oder gar als zu intelligent für Religion anerkennt. Womit banaler Aktionismus Faustsche Verzweiflung und ganze Reihen von Denkschulen des Atheismus ersetzen würde. Ein schlechter Tausch.
Dahingestellt bleibe, inwieweit diese Kreuzritter gegen das Kreuz im Sinne von Vordenkern handeln, die linke oder linksgrüne Orientierungen als Fortschritt propagieren und die Losung vertreten, Fortschritt und Religion würden einander zwangsläufig ausschließen. Wobei sich diese Apostel des Fortschritts ad absurdum führen, wenn sie glauben, für gesundheitsschädliche Ramadangebote und die Erhabenheit befremdender Koransuren auftreten zu müssen.
Bei so viel Religionseifer werden sich diese Vordenker gerne einen Weg zeigen lassen, wie der moderne Linke oder der noch aktuellere linke Grüne das Kreuz und just den Karfreitag als positiven Denkanstoß erleben kann. Es braucht dazu nicht die Lektüre der Leidensgeschichte Christi, auch keine Grundkenntnisse in der christlichen Lehre, sondern nur einen Blick auf das Kreuz, etwas Phantasie und die Annahme, dass dieser Jesus von Nazareth unschuldig auf dem Balken gelandet ist. Schon erscheint vor dem geistigen Auge ein Bitt- und Mahnbrief von Amnesty International an den römischen Imperator Tiberius. Einer von hunderten, wenn nicht tausenden, wie sie Amnesty an diverse Menschenschlächter in aller Welt seit Gründung vor genau 50 Jahren schrieb.
Man muss nicht Christ sein, darf aber auch als solcher am Karfreitag die Todesstrafe generell ablehnen und all der unschuldigen Opfer verdrehter oder beabsichtigt böser Rechtssprechung gedenken: der zahllosen Gekreuzigten (beginnend mit Spartacus, dem Anführer des Sklavenaufstands), der Opfer von Inquisition und Kolonialismus, der vom türkischen Nationalismus in den Tod gehetzten Armenier, der Opfer Stalins und des Holocausts. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen, jeder könnte sie für sich persönlich erweitern.
Freilich wäre das nicht so schick, wie am Kreuz Anstoß zu nehmen. Dafür aber würde es helfen, die Darstellung eines Gekreuzigten mit erigiertem Penis als das einzuordnen, was sie ist
- als Geschmacklosigkeit. Mehr nicht. Denn aus den Flegeljahren einer Religion, in denen dafür ein "Künstler" wegen Blasphemie gesteinigt wurde (3. Buch Mose), ist das gelebte Christentum gottlob heraus. Damit wurde Toleranz zu seinem Gütezeichen. Beklagenswert ist lediglich, dass es dafür eine gewisse Exklusivität in Anspruch nehmen darf.
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.