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Ein Kim kommt selten allein

Von WZ-Korrespondent Fabian Kretschmer

Politik

Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un teilt seiner kleinen Schwester einen hohen Parteiposten zu. | Sein Schachzug wird als Versuch gedeutet, eine neue Machtelite zu installieren.


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Seoul/Pjöngjang. Es geschah während eines dieser berüchtigten Besichtigungstermine, bei denen Kim Jong-un wahlweise Fischereifabriken, neu eingeweihte Wohnblöcke oder Skiressorts bestaunt, wobei ihm eine uniformierte Menschentraube folgt, die jedes Wort des nordkoreanischen Führers aufmerksam mitschreibt. Diesen Donnerstag nun also eine Trickfilmfabrik, denn Cartoonfilme spielen nach Aussagen des 31-Jährigen, der schon einmal während eines Konzerts in Pjöngjang Mickey Maus und Winnie Puuh für sich tanzen ließ, "eine wichtige Rolle" beim Vorantreiben des "revolutionären Geistes".

Die Titelseiten der Staatszeitungen bestehen praktisch ausschließlich aus solchen Besichtigungsfotos, doch da diese bis ins letzte Detail durchinszeniert werden, sind sie auch mit hoher Symbolkraft aufgeladen. Die Botschaft der jüngsten Inszenierung lautete zweifelsfrei: Kim Jong-uns kleine Schwester wird künftig eine ganz essenzielle Rolle in seinem Regime spielen.

Denn während der Besichtigung wurde der Diktator von Kim Yo-jong begleitet, und erstmals wurde ihr von der staatlichen Nachrichtenagentur ein offizieller Titel angehängt: Die 27-Jährige sei eine "stellvertretende Abteilungsleiterin" im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. Damit nimmt sie derzeit als einziges Kim-Familienmitglied eine hohe Regierungsposition ein. Unter Nordkorea-Experten gilt sie als eine der wenigen Personen, denen Kim Jong-un vollkommen vertraut. Kein Familienmitglied hat eine engere Bindung zum "Großen Führer" als sie.

Die beiden Kims besuchten dasselbe Schweizer Internat

Wenn man sich ihren Werdegang anschaut, ist das keine Überraschung: Geboren wurde Kim Yo-jong am 26. September 1987 - zumindest laut den Ausführungen Kenji Fujimotos, des ehemaligen Sushi-Kochs von Kim Jong-il. Mit ihrem Bruder teilt sie dieselbe Mutter (Kim Jong-il zeugte mindestens sieben Kinder mit vier verschiedenen Frauen). Gemeinsam wuchsen die beiden in einem abgelegenen und von der Außenwelt abgeschotteten Anwesen in den Bergen auf. Später besuchten sie in den 1990er Jahren dasselbe Schweizer Internat. Danach setzte Kim Yo-jong ihre Bildung an der Kim-Il-sung-Universität in der Hauptstadt Pjöngjang fort.

Ihren ersten öffentlichen Auftritt absolvierte sie bei der Beerdigung ihres Vaters. Damals marschierte sie direkt hinter dem künftigen Thronfolger Kim Jong-un im Trauerzug mit. Das erste Mal namentlich in den Staatsmedien erwähnt wurde sie aber erst im heurigen März, als sie ihren Bruder bei den Wahlen der Obersten Volksversammlung begleitete. Seitdem tauchte sie bisher insgesamt 15 Mal in den Medien auf - jedoch nie mit offiziellem Titel. Zuletzt wurde sie als "leitende Beamtin" bezeichnet.

Der Staatschef hat seine Macht konsolidiert

Die südkoreanische Regierung vermutet, dass die kleine Schwester des Diktators derzeit im Propagandaministerium arbeitet. Zuvor diente sie als persönliche Sekretärin Kim Jong-uns, arrangierte dessen Treffen und fungierte als Vermittlerin zwischen Partei- und Regierungsvertretern. Schon während der 40-tägigen Abwesenheit ihres Bruders in diesem Herbst ging sie ihm bei Amtsgeschäften verstärkt zur Hand, was einige Medien gar zu Spekulationen über einen möglichen Putsch veranlasste.

Ihre Beförderung zeigt vermutlich jedoch genau das Gegenteil: Kim Jong-un hat in einer ersten Amtsphase seine Macht so weit konsolidiert, dass er sich nun selbstbewusst genug fühlt, zunehmend seine eigene Elite zu installieren. "Kim Yo-jong spielt eine essenzielle Rolle darin, Kim Jong-uns Image als volksnaher Führer zu kreieren", sagt dazu Chang Yong-seok von der Seoul National University in einem Interview mit der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap News. Dass Kims kleine Schwester künftig noch weiter in der Hierarchie aufsteigen wird, gilt als sehr wahrscheinlich.

Mit diesem Schachzug setzt Kim Jong-un auch eine lange Familientradition fort: Schon Staatsgründer Kim Il-sung holte sich einen Bruder an seine Seite, bis er diesen schlussendlich degradierte. Und sein Sohn Kim Jong-il ließ sich während seiner 17-jährigen Amtszeit von seiner Schwester Kim Kyong-hui assistieren. Diese wurde jedoch seit September 2013 nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Kurz nach ihrem Verschwinden ließ Kim Jong-un ihren Ehemann Jang Song-thaek, der damals als zweitmächtigster Mann im Land galt, unter dem Vorwurf des Landesverrats hinrichten.

Erst am Donnerstag meldete ein hochrangiger nordkoreanischer Flüchtling, der einst als Informatikprofessor an einer Eliteuniversität in Pjöngjang gearbeitet hatte, dass Kim Kyong-hui sich bereits vor knapp einem Jahr das Leben genommen habe. In einem Abschiedsbrief soll sie Kim Jong-un dafür verflucht haben, dass er ihren Mann hinrichten ließ. Deshalb wurde ihr auch keine Beerdigung gestattet, und auch die nordkoreanischen Medien mussten ihr Ableben in den Mantel des Schweigens hüllen.