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Ein Kind des Kalten Krieges

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist Politologin. Die gebürtige Britin forscht und lebt in Österreich.
© Philipp Bergermayer

König Charles III. verbindet biografisch einiges mit Deutschland.


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König Charles III. durfte in Berlin das tun, was ihm in Großbritannien nicht zusteht: eine Ansprache im Unterhaus halten. Seitdem im 17. Jahrhundert König Charles I. das Parlament stürmte und Abgeordnete festnehmen ließ, ist der Monarch sicherheitshalber aus dem House of Commons verbannt. Apropos sicherheitshalber: Zur Sicherheit nimmt Charles auf Reisen seine eigene Füllfeder mit. Wir erinnern uns an die Tinte auf den royalen Fingern, die ihn nach der Thronbesteigung beim Unterschreiben wichtiger Staatsakten sichtlich irritierte. Man kann nur Mitleid haben mit den Protokollchefs und Beamten, die sorgfältig alle Schreibwaren mit deutscher Gründlichkeit überprüft hatten, nur um zu sehen, wie Charles III. dann locker seinen eigenen Füller aus dem Sakko gezaubert hat.

Deutschland hätte übrigens gar nicht sein erstes Reiseziel als König sein sollen. Die Einladung für einen solchen Staatsbesuch muss der jeweilige Gastgeber aussprechen, in diesem Fall Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die britische Regierung hatte entsprechende Ersuchen nach Paris und Berlin geschickt, nachdem König Charles III. voriges Jahr von der damaligen Premierministerin Liz Truss der Besuch der Klimakonferenz in Ägypten verwehrt worden war. Ihr Nachfolger Rishi Sunak meinte, es sei Sache des Palasts - aber es war klar, dass sich Charles III. genau überlegen sollte, wohin ins Ausland er als erstes fährt. Er sollte nicht in Verruf kommen, als Klimaaktivist unterwegs zu sein, sondern als Spitzendiplomat des Landes und als Brückenbauer gesehen werden.

Planmäßig hätte Frankreich als erstes Land das Königspaar begrüßen sollen. Viele Brücke dorthin gäbe es für Großbritannien zu reparieren. Doch Truss war unsicher, ob Präsident Emmanuel Macron Feind oder Freund war. Die Migranten, die von Frankreich aus über den Ärmelkanal kommen, sorgen für Unmut. London bezahlt Paris, damit die Küste besser kontrolliert wird, und beschwert sich über schlampige französische Polizeiarbeit. Frankreich wiederum ist verärgert über Großbritanniens Militärbündnis mit den USA und Australien zur Stärkung der Kooperation im Indopazifik, wo Frankreich strategische Interessen hat.

Achse London-Paris-Berlin

Trotzdem gilt Macron in London als großer EU-Player, zumal nach dem Abgang von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Die Achse London-Paris-Berlin hat oft nur bilateral funktioniert. Selten waren alle drei im Einklang. Letztlich verhinderten auch die gewaltsamen Massendemos in Paris den royalen Besuch aus Großbritannien. Also kam Berlin zum Zug, und dort hatte Charles III. auch die richtige Rede parat, in der er nicht mit Lob für Deutschland und die guten Beziehungen zu Großbritannien sparte.

Schon lange ist Deutschland wichtig für die Briten. Vor 309 Jahren wurde Kurfürst Georg aus Hannover König vom Großbritannien. Charles III. hat deutsche Wurzeln. Er wurde 1948 geboren - in dem Jahr, in dem die UdSSR Westberlin vom Rest des Landes abschnitten und der Stadtteil von den westlichen Alliierten nur mittels Luftbrücke versorgt werden konnte. Als die Berliner Mauer gebaut wurde, war Charles III. ein Teenager. Dann kamen die Kuba-Krise und die berühmte "Ich bin ein Berliner"-Rede von US-Präsident John F. Kennedy.

Ehemalige Kriegsgegner

Die Queen prägte der Zweite Weltkrieg, ihren Sohn der Kalte Krieg. Bei Kennedys Besuch war das Brandenburger Tor nach Ostberlin mit einer riesigen DDR-Flagge verhängt. Die Symbolik des Ortes, wo nun Charles III. mit zeremoniellem Pomp empfangen wurde, könnte nicht größer sein. Als er in seiner Rede im Bundestag die Bedeutung der Wiedervereinigung für Europa hervorhob, erntete er viel Applaus.

Aber Deutschland und Großbritannien sind auch einstige Kriegsgegner. In Hamburg, das im Zweiten Weltkrieg besonders stark von den Alliierten bombardiert worden war, legte der König einen Kranz nieder als wichtiges Zeichen der Versöhnung. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mehrere Initiativen für ein neues, friedliches Kapitel. Meine Heimatstadt Bristol begann 1947 eine Städtepartnerschaft mit Hannover. Als man in Bristol hörte, dass deutsche Kinder im strengen Winter keine Schuhe hatten, schickte die Bevölkerung welche nach Hannover. Zwei im Krieg besonders stark zerstörte Städte, Dresden und Coventry schlossen 1959 eine ähnliche Partnerschaft, obwohl Dresden damals in der DDR lag.

Heute sind Deutschland und Großbritannien mit einem neuen Krieg in Europa konfrontiert. Diesmal stehen sie solidarisch auf derselben Seite. Der Besuch von Charles III. trägt dazu bei, diese neue Partnerschaft in einer unsicheren Welt zu festigen.