Drei Viertel der Jugendlichen mit ihrer Kindheit zufrieden. | Verhaltensstörung ist die Folge von | Gmunden. Ein Anteil von 70 bis 80 Prozent unserer Jugendlichen hat eine überwiegend gute familiäre Kindheit und Lebenssituation erlebt: Er hat in der Kindheit Beziehungsfähigkeit aufgebaut, steht positiv zum Leben, zur Zukunft und zum Land. 83 Prozent gaben an, dass sie genug Liebe und Geborgenheit von den Eltern erhalten haben. Eine gute Vorbereitung auf das reale Leben meinen 75 Prozent von ihren Eltern erhalten zu haben. Ein Potential um die 20 Prozent allerdings hat schlechte Erziehungsqualitäten und zum Teil Erziehungsverweigerung erlebt.
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Dieses Potential von Jugendlichen, denen in der Kindheit niemand vorgelesen hat, die oft geschlagen worden sind und mit denen die Eltern kaum gespielt haben, ist deshalb viel mehr vor dem Fernsehapparat und vor dem Computerspiel gesessen. Diese Jugendlichen haben heute um ein Vielfaches häufiger Verhaltensstörungen oder fallen in den diversen Problemszenen auf. Vielfach sind diese Auffälligkeiten bereits in der Schule sehr manifest sichtbar: Unfähigkeit, sich in die Klassengemeinschaft einzufügen, minimale Belastbarkeit, Unfähigkeit der Selbstkontrolle, aber auch Gewaltbereitschaft und Unbeherrschtheit sind klassische Folgen, die oft wesentliche Ursachen in den familiären Kindheitserfahrungen haben.
Beziehungsqualität
Sehr nachdrücklich zeigen unsere Daten, dass eine intakte Beziehungsqualität insbesondere zur Mutter eine wesentliche Voraussetzung für die spätere Beziehungsfähigkeit auch zu Freunden, Kollegen und Partnern ist. Beziehungsfähigkeit wird aber nicht nur aus der Qualität der Beziehung zu den Eltern, sondern auch durch literarische Identifikationsangebote namentlich durch das Vorlesen und Geschichtenerzählen gefördert. Jugendliche, denen als Kind keine Geschichten oder Märchen vorgelesen oder erzählt worden sind, konnten viel weniger Mitleid und Einfühlungsvermögen erlernen. Das wirkt sich in einer um ein Vielfaches höheren Gewaltaffinität aus.
Und noch ein Aspekt sollte uns veranlassen über elterliche Verantwortung nachzudenken: jene Kinder nämlich, denen niemand vorgelesen hat und mit denen die Eltern nicht gespielt haben, wurden wesentlich häufiger geohrfeigt und "verdroschen", haben Hausarrest, Fernsehverbot und Gesprächsverweigerung als Erziehungsmittel erlebt; kurz: waren rundum arme Kinder. Heute sind sie wesentlich öfter als Kinder mit intakten Familienbeziehungen in ihrer eigenen Beziehungsfähigkeit, ihrer Belastbarkeit, Disziplin etc. gestört.
Unsere Daten belegen deutlich, dass elterliche Erziehungsverweigerung und Verwahrlosung keine schicht-spezifischen Probleme sind, sondern in allen elterlichen Bildungsniveaus vorkommen. Erziehungsverweigerung ist eine Frage persönlicher Leistung oder Nicht-Leistung, also auch eine Frage von Verantwortung. Parallel dazu ist es sicher auch eine Frage gesellschaftlicher Reife, darüber nachzudenken, welche Kompensationsmöglichkeiten eine Gesellschaft zur Vermeidung der absehbaren Folgen dieser Erziehungsverweigerung bietet. Ohne Kompensation dieser Familiendefizite entsteht ein bereits heute sichtbar werdendes "Verhaltensproletariat", und wir wissen, dass in diesem Milieu Kriminalität, Arbeitslosigkeit etc. um ein Vielfaches höher ist als in anderen Milieus.
Pflicht zur Erziehung
Und wir sollten auch darüber nachdenken, dass eine humane Gesellschaft den Schutz der Schwächeren als eine Grundmaxime ansieht, auch dann, wenn diese Schwächeren noch nicht wahlberechtigt sind. In der humanen Gesellschaft wird ein Recht des Kindes auf Geborgenheit und humane Erziehung mit einer elterlichen Erziehungspflicht korrespondieren müssen.
Die politischen Implikationen dieser Priorität sind im politischen Diskurs zu entwickeln. Aber es kann nicht sein, dass eine humane Gesellschaft an die 20 Prozent ihrer Kinder unter inhumanen Bedingungen aufwachsen lässt, um später mit ihnen die Gefängnisse zu füllen oder hohe Sozialleistungen zur Linderung der entstandenen Nöte aufwenden muss.
Dr. Erich Brunmayr, Sozialforscher mit Firmensitz in Gmunden, leitet das Institut für strategische Zukunftsforschung an der Niederösterreichischen Landesakademie.