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Demografen rechnen in 15 Jahren mit Rückgang der Bevölkerung. | Viele Frauen wollen gar kein zweites Kind. | Dafeng. (ap) Ein zweites Kind? Shi Xiaomei schüttelt entschieden den Kopf. Das Geld reicht gerade einmal für den Lebensunterhalt und die Schulgebühren ihres Sohnes. Mit einem Einzelkind komme man finanziell einfach viel besser zurecht, sagt die 34-Jährige.
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Eine Ausnahmeregelung würde ihr und vielen anderen Müttern in China weiteren Nachwuchs erlauben, aber die meisten halten sich freiwillig an die lang verhasste Ein-Kind-Politik. Und machen Demografen in der Volksrepublik damit zunehmend Sorgen.
Denn die Forscher warnen, dass in rund 15 Jahren nicht nur die Bevölkerungszahl in China zurückgehen werde, sondern dann zu viele Alte von zu wenigen Jungen unterstützt werden müssen. Offiziell hält die Regierung zwar an der Ein-Kind-Politik fest. Im vergangenen Jahr wurden allerdings Studien über die möglichen Folgen eines Verzichts auf die bisher rigoros durchgesetzte Strategie in Auftrag gegeben. Aus der Nationalen Kommission für Bevölkerung und Familienplanung verlautete, Peking suche nach Möglichkeiten, die Ein-Kind-Politik anzupassen, ohne sie ganz aufzugeben. Der Grund: Die Regierung befürchtet, dass sich das Wirtschaftswachstum verlangsamen oder sogar zurückgehen könnte.
Schon jetzt ist Ehepartnern ein zweites Kind erlaubt, wenn beide selbst Einzelkinder sind. Gebrauch macht von dieser Ausnahmeregelung aber kaum jemand.
In einer Umfrage in sechs Bezirken der Provinz Jiangsu erklärten 69 Prozent der Frauen, die ein zweites Kind bekommen dürften, sie würden trotzdem nur eines wollen. Ihr wichtigstes Argument: die wirtschaftliche Situation der Familie.
"Es braucht keine Kontrolle der Regierung mehr, um eine niedrige Geburtenrate beizubehalten", schrieb Zheng Zhenzhen, der Leiter der Studie, im November in der Fachzeitschrift "Asian Population Studies". Ein ungewollter Baby-Boom sei auch bei einer vorsichtigen Lockerung der Ein-Kind-Politik unwahrscheinlich.
Bevölkerungszahl Chinas bis 2100 halbiert
Während in den 70er Jahren eine chinesische Familie durchschnittlich fünf bis sechs Kinder hatte, liegt die Geburtenrate pro Frau heute bei 1,5 Kindern. Als Folge der bisherigen Politik werde sich bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Bevölkerungszahl in China auf 750 Millionen fast halbieren, erklärte Wang Feng von der University of California in einer Modellrechnung. Die Bemühungen Pekings um eine Verlangsamung des Bevölkerungswachstums haben seiner Ansicht nach gefährliche Nebeneffekte. So dürfte sich die Zahl der 20- bis 24-Jährigen in nur zehn Jahren auf die Hälfte reduzieren. Das hätte zur Folge, dass die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Volksrepublik leidet. Zugleich dürfte die Zahl der Über-60-Jährigen von derzeit zwölf Prozent auf 17 Prozent steigen.
Ein weiteres Problem: Es kommen deutlich mehr Buben zur Welt als Mädchen. Seit den 90er Jahren werden in vielen Praxen Ultraschall-Untersuchungen angeboten, und manche Eltern, die lieber männlichen Nachwuchs wollen, lassen weibliche Föten kurzerhand abtreiben.
119 Buben kommen auf 100 Mädchen
Im vergangenen Jahr kamen in China auf 100 neugeborene Mädchen 119 Buben. Weltweit liegt das Verhältnis bei 100 zu 107. Experten befürchten eine frustrierte Generation von Männern, für die es nicht genügend Partnerinnen gibt, was einen Anstieg beim Mädchenhandel zur Folge haben könnte. Die Regierung weist darauf hin, dass dank der Ein-Kind-Politik 400 Millionen Geburten und damit millionenfach Armut verhindert worden seien. Xie Zhenming von der staatlich finanzierten China Population Association rechnet damit, dass sie dennoch in den kommenden fünf Jahren allmählich geändert wird. Susan Greenhalgh von der University of California zufolge wird Peking dabei in kleinen Schritten vorgehen, um bei den Betroffenen keine schlimmen Erinnerungen zu wecken oder die Frage aufkommen zu lassen, ob diese drastische Strategie überhaupt notwendig war.
Denn solche Fragen könnte es durchaus geben, weil die behördlich verordnete Familienplanung ausgesprochen rigoros durchgesetzt wurde: "Unser verlangsamtes Bevölkerungswachstum hat wirtschaftlichen Wohlstand gebracht, aber wir haben einen hohen Preis dafür bezahlt", sagt beispielsweise der Schriftsteller Mo Yan, dessen jüngstes Buch die Geschichte einer Hebamme erzählt, die 30 Jahre lang erzwungene Abtreibungen und Sterilisationen durchführen musste. "Wie auch immer man das betrachtet, es war eine Tragödie."