Künstliche Befruchtung macht Eizellen zu Forschungsobjekten. Doch nicht nur sie.
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Wien. Louise Joy Brown wurde am 25. Juli 1978 in Oldham bei Manchester geboren. Sie war 2,6 Kilo schwer, 49 Zentimeter groß, blond und gesund - scheinbar ein ganz normales Baby. Doch ihre Geburt war bei weitem nicht alltäglich: Sie ist das erste Retortenbaby der Welt. Bei ihrer Mutter, Lesley Brown, hatten der britische Gynäkologe Patrick Steptoe und der Physiologe Robert Edwards eine künstliche Befruchtung per In-vitro-Fertilisation (IVF) durchgeführt. Ungewollt Kinderlosen konnten endlich Hoffnung schöpfen: Fortan würden auch sie Familien gründen können - ohne Sex, per Zeugung in einem Glasgefäß.
Für Kinderlose war die Geburt von Louise Brown ein Segen, für die Wissenschaft ein Durchbruch, für den Vatikan ein Teufelswerk. Heute leben fünf Millionen Menschen, die mit IVF gezeugt wurden. Frauen mit verschlossenen Eileitern oder Männer mit schlecht beweglichen Spermien haben somit fast so viele Kinder in die Welt gesetzt, wie der Staat Dänemark Einwohner hat. Zu Beginn konnte wohl kaum jemand abschätzen, wie tiefgreifend die medizinische Sensation die Gesellschaft verändern und unser Verständnis von Normalität verschieben würde.
Follikel in Thermoskannen
Vielmehr mussten die Pioniere an allen Ecken und Enden improvisieren, damit ihre Rechnung aufging. "Da wir Gegenwind hatten von dem einen oder anderen Vorgesetzten, waren wir gezwungen, zu vereinfachen. Das ging so weit, dass wir die befruchteten Eizellen, die ja warm gehalten werden mussten, in der Thermoskanne vom Rudolfinerhaus, wo wir sie den Frauen entnahmen, in ein Labor nach Hietzing transportierten, das wir eigens eingerichtet hatten für die Befruchtung", berichtet der Wiener Gynäkologe Wilfried Feichtinger. Die Follikel auf chromosomale Fehlverteilungen zu untersuchen hätte ihn damals nur am Rande interessiert: "Das konnte bei Untersuchungen während der Schwangerschaft zwar schon machen, aber wir wollten ja Kindern zu leben ermöglichen."
Heute betont der Gynäkologe hingegen: "Die IVF hat Tür und Tor geöffnet zur Diagnose an der Eizelle - befruchtet oder unbefruchtet. Denn nur eine Geschlechtszelle, die unter dem Mikroskop liegt, kann man unter die Lupe nehmen." Während am Anfang die Mediziner und in der Folge eine ganze Industrie damit beschäftigt waren, Hormontherapien zu verfeinern, Kulturmedien zu verbessern und passende medizinische Geräte mit Raffinessen auszustatten, dreht sich IVF heute zunehmend um das Ausschließen von Erkrankungen nicht nur vor der Geburt, sondern schon vor der Schwangerschaft.
Im Bestreben nach Behandlungserfolgen wählen die Mediziner seit jeher die am besten entwickelten Eizellen zur Befruchtung aus. Die erste genetische Untersuchung an der befruchteten Eizelle (Präimplantationsdiagnostik, PID) publizierte aber erst 1992 Alan Handyside, Genetiker an der Universität Cambridge. Heute können im Zuge von IVF eine ganze Reihe von genetischen Erkrankungen ausgeschlossen werden. "Zumindest 50 Prozent aller Embryonen, ob natürlich oder über IVF entstanden, haben so schwere genetische Defekte, dass sie keine Schwangerschaft auslösen können oder zu einer Fehlgeburt führen. Die sollte man im Zuge der künstlichen Befruchtung vom Transfer in die Gebärmutter ausschließen", sagt der Wiener Fachhumangenetiker Markus Hengstschläger. Immerhin würden damit zumindest vorhersehbare Rückschläge für Patientinnen vermieden.
Für PID spreche auch die Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen nach Pränataldiagnostik (PND, Diagnose am Embryo während der Schwangerschaft), so deren Verfechter. Eine psychisch belastende Untersuchung dabei ist die Fruchtwasserpunktion in der 13. Woche. Fruchtwasser wird mit einer Nadel der Gebärmutter entnommen, anhand dessen festgestellt werden kann, ob das Kind schwere Schäden, beginnend bei Down-Syndrom, haben wird. Ist der Test positiv, darf noch in diesem späten Stadium die Schwangerschaft abgebrochen werden. Mittlerweile sind zuverlässige Prognosen zwar auch an einem einfachen Bluttest ablesbar. Das ändert jedoch nichts an der Realität von Abtreibungen auf Empfehlung - die wiederum nichts mit IVF zu tun hat, sondern nur im selben Dunstkreis schwebt.
IVF-Kritiker stemmen sich gegen "Eingriffe in ungeborenes Leben". Ihnen kann entgegengehalten werden, dass sie ihre Definition von "ungeboren" vom Achtzeller bis zum Baby am Tag vor der Geburt spannen, sodass die Vergleichbarkeit an Konturen verliert. Andere wiederum warnen vor "Babys nach Maß". Ihnen werfen die Genetiker einen Hang zur Übertreibung vor. Immerhin könne weder die Haarfarbe, noch die Farbe der Augen, noch die Intelligenz eines Babys vorbestimmt werden, da diese Eigenschaften sowohl von zu vielen verschiedenen Genen als auch von der Umwelt bestimmt seien.
Widersprüchliche Gesetze
Vergleichsweise leicht durchzuführen, aber nur selten gefragt, sei die Bestimmung des Geschlechts. Anscheinend ist es den meisten Menschen egal, ob es ein Bub oder ein Mädchen wird. Dass aber allein die Möglichkeit, schon vor der Schwangerschaft zu wählen, die Gesellschaft verwirrt, zeigt die Disparität gesetzlicher Regelungen zur IVF, die vor lauter Widersprüchen fast ihre Rahmenwerke sprengen.
So ist in Österreich PID zwar verboten, aber die genetische Untersuchungen am Polkörper, einem Abfallprodukt der unbefruchteten Eizelle, ist ebenso wie die späte Abtreibung nach PND erlaubt. Auch in Deutschland und der Schweiz ist PID untersagt - in Tschechien und Ungarn ist sie hingegen gestattet.
Restriktiv handhabt der heimische Gesetzgeber auch die Eizellspende. Sie erlaubt unfruchtbaren oder älteren Frauen, auf die Follikel einer anderen oder jüngeren zurückzugreifen. Auch die Leihmutterschaft ist untersagt, damit Frauen in Notlagen ihren Körper nicht für Schwangerschaften "vermieten". In Tschechien sind dagegen neben PID Ei- und Samenspende und Leihmutterschaft erlaubt - allerdings nur, wenn die Identität die Spenderin anonym bleibt. In Ungarn wiederum muss die Eizell-Spenderin bekannt sein.
Die Österreichische Bioethik-Kommission tritt für die Freigabe der IVF nicht wie derzeit nur für Paare, sondern auch für alleinstehende Frauen ein. Dazu müsste auch für sie und nicht nur für Paare die Samenspende erlaubt sein. Offenbar weiß der Gesetzgeber aber nicht so recht, wie er die lesbischen Paare oder alleinerziehenden Mütter, deren Zahl durch eine Rechtsänderung steigen würde, einordnen soll, den geändert wurde am Fortpflanzungsmedizingesetz bisher nichts.
Leichter haben es Betroffene in Großbritannien und den USA, wo ihnen keine Hürden im Weg stehen. Erlaubt ist im Rahmen der Menschenrechte alles, was Patienten wünschen - sofern kein Schaden entsteht. Doch darf ein Reproduktionsmediziner sich weigern, zwei genetisch Taubstumme zu behandeln, weil sie ein taubstummes Kind bekommen könnten? Oder darf er es nicht?
Wissen
In-vitro-Fertilisation (IVF) kann unfruchtbaren Paaren zu Kindern verhelfen. Um die Chancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen, nimmt die Frau im Vorfeld Follikel-stimulierende Hormone ein, die bewirken, dass ihre Eierstöcke mehr Eizellen erzeugen als im normalen Zyklus der Fall wäre. Zum Zeitpunkt des Eisprungs werden die Geschlechtszellen den Eierstöcken entnommen und im Brutschrank einige Tage lang bis zum Acht-Zell-Stadium kultiviert. Jene, die am besten heranreifen, werden in der Petrischale mit dem Samen des Mannes befruchtet und in die Gebärmutter eingesetzt in der Hoffnung, dass sie sich dort einnisten und es zu einer Schwangerschaft kommt. Im Durchschnitt führt ein Drittel der Versuche zum Erfolg - je nach Alter sind es mehr oder weniger. Im Laufe der Jahre hat sich die Methode zunehmend verfeinert: Während früher die Eizellen mit drei Stichen in die Bauchdecke unter Vollnarkose entnommen wurden, erfolgt der Prozess heute mit Ultraschallgeräten ähnlich jenen bei gynäkologischen Routine-Untersuchungen. Zunehmend mehr kann auch die Präimplantationsdiagnostik (PID), die genetische Untersuchung an der befruchteten Eizelle. Nachgewiesen werden können etwa die Triosomien 21, 13 oder 18 (Down Syndrom, Pätau-Syndrom oder Edwards-Syndrom durch Verdreifachung statt Verdoppelung von Erbmaterial), oder monogenetische Erkrankungen wie Hämophilie (Bluterkrankheit), sowie die familiäre Veranlagung für bestimmte Formen von Krebs.