Knapp 74 Prozent der EU-Abgeordneten stimmten gestern in Straßburg für die erste Europäische Verfassung. Von den 677 anwesenden Parlamentarierinnen und Parlamentariern sprachen sich 500 dafür und 137 dagegen aus. Das Vertragswerk stelle "einen guten Kompromiss und eine erhebliche Verbesserung der bestehenden Verträge" dar, befand die Mehrheit.
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Die Zustimmung war hörbar, die Ablehnung lesbar. Während die meisten EU-Abgeordneten den positiven Ausgang des Votums zur EU-Verfassung mit starkem Applaus bedachten, hielten die Gegner des Vertragswerks Tafeln in die Höhe. "Nein" oder "Die Verfassung ist der Tod für Europa" war darauf zu lesen. Doch Parlamentspräsident Josep Borrell zögerte nicht lang - und ließ die Plakate entfernen. So konnte EU-Ratsvorsitzender Jean-Claude Juncker denn auch kurz darauf seine Freude über die breite Zustimmung zum Ausdruck bringen. Er sprach von einem wichtigen Moment auf dem Wege der Ratifizierung.
Dennoch räumten die EU-Abgeordneten ein, dass die Verfassung nicht optimal sei, wenn auch ein wichtiger Schritt vorwärts. So seien nun "Garantien dafür geboten, dass die Union niemals ein zentralisierter, allmächtiger Superstaat sein wird", heißt es in dem angenommenen Bericht. Dafür bürge das Motto "in Vielfalt geeint" ebenso wie die Verpflichtung, "die nationale Identität der Mitgliedstaaten" zu achten.
Die Institutionen der EU würden gestärkt und effizienter gemacht, die Bürgerinnen und Bürger erhielten mehr Rechte, die demokratische Legitimierung werde verstärkt. Insgesamt biete "diese Verfassung einen stabilen und dauerhaften Rahmen für die künftige Entwicklung der Europäischen Union".
Ob das Vertragswerk allerdings in Kraft tritt, ist ungewiss. Zuvor muss es nämlich in allen EU-Staaten ratifiziert werden. In Litauen und Ungarn ist dies bereits im Parlament geschehen, in Spanien steht nun die erste Volksabstimmung bevor. Mit einem einstimmigen Votum hat das Parlament vorgestern den Weg für ein Referendum am 20. Februar frei gemacht. An dem Tag werden "die Augen des gesamten Europa" auf Spanien gerichtet sein, prophezeite Premier Jose Luis Zapatero. Wenn nur ein EU-Staat die Verfassung ablehne, drohe Europa eine Lähmung.
Die Gefahr eines negativen Votums ist aber in anderen Ländern größer. So ist in Großbritannien, Tschechien oder Polen die Skepsis gegenüber dem Vertragswerk enorm. Die polnische Opposition hat bereits angekündigt, die Verfassung ändern zu wollen, sollte sie in einem Land oder mehreren Staaten nicht ratifiziert werden.
Auch in Frankreich ist der Ausgang der Volksabstimmung keinesfalls gewiss. Zudem besteht die Gefahr, dass beim Referendum ein - mehrheitlich abgelehnter - möglicher EU-Beitritt der Türkei ebenso eine Rolle spielt. Daher hat auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso gestern dazu aufgefordert, die beiden Themen nicht miteinander zu verbinden. Der Ratifizierungsprozess dürfe nicht durch andere Fragen "vergiftet" werden.