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Ein klares "Nein"

Von Jan Michael Marchart

Politik

Rund 87 Prozent der Wiener Gemeindeärzte lehnen die neue Arbeitszeitregelung ab.


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Wien. Die Flucht nach vorne anzutreten, ist wahrscheinlich die einzige Option, die ihm geblieben ist. Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres gestand selber: "Die Gemeindeärzte glauben, ich hätte sie verkauft." Mit dieser Ansicht liegt er nicht falsch, wenn man bedenkt, dass die Verhandlungen zur Ärztearbeitszeit mit der Stadtregierung abgeschlossen wurden, ohne die Ärzte dazu zu befragen. Mit der Urabstimmung versuchte Szekeres, den Rückhalt unter den Ärzten wiederzuerlangen.

Klar ist aber: Mit dem Votum von 87,44 Prozent stimmten die Ärzte nicht nur gegen das Verhandlungsergebnis, sondern auch gegen Szekeres. An einen Rücktritt denkt der Präsident aber nicht. Stattdessen versucht er nun die Politik in die Pflicht zu nehmen, und pocht auf Nachverhandlungen. Wohl auch um sich mit den kritischen Stimmen aus der Kammer-Kurie sowie den Ärzten zu versöhnen. Für die Wiener Politik sind die Verhandlungen aber bereits abgeschlossen.

Die zuständige Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) kritisiert den Präsidenten. Kein Punkt der Vereinbarung sei unbekannt gewesen. Schon bei der Einigung im Jänner habe sie darauf hingewiesen, dass man mit weniger Ärzten auskommen werde.

Bürgermeister Michael Häupl mahnte bereits Mitte Februar die Vertragstreue ein. Der Ärztekammer-Präsident werde hoffentlich wissen, was er unterschrieben habe. Die Stadt möchte im März die Neuerungen vom Landtag beschließen, bereits im Juli sollen sie dann in Kraft treten.
Möglich ist eine Lösung wie in Kärnten, wo man nach etlichen Verhandlungsrunden gegen die Ärzte gearbeitet hat. Häupl könnte das Modell ohne Zustimmung der Mediziner durchsetzen. Ob Häupl das angesichts der Wien-Wahl im Herbst riskiert, ist aber eine andere Frage.

Seit 2003 gibt es die EU-Richtlinie, nach der die Ärzte in einem Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen nicht mehr als 48 Stunden arbeiten dürfen. Österreich hat sie allerdings erst im September des Vorjahres beschlossen. Auf EU-Druck, da hohe Strafgelder drohten. Nur mit einer freiwilligen Einverständniserklärung (Opt-out) dürfen Ärzte länger arbeiten. Diese Übergangsmöglichkeit endet allerdings 2021. Dann ist Schluss mit bis zu 72 Wochenstunden. Die waren in Österreichs Spitälern keine Seltenheit.

Stelleneinsparungen

Dadurch verlieren die Ärzte aber mit im internationalen Vergleich niedrigen Grundgehältern wichtige Zuverdienste. Etwa Nachtdienste und Überstunden, die bis zu einem Drittel ihres Einkommens ausmachen. Die Ärztekammern machen deswegen in den Ländern für höhere Grundgehälter mobil. In Salzburg und der Steiermark hat man den Ärzten diesen Wunsch erfüllt. Auch in den Gemeindespitälern einigte man sich Ende Jänner. Zunächst.

Mit einer 48-Stunden-Woche und höheren Grundgehältern lockte man die Mediziner. Vor allem den Ärzte-Nachwuchs, der überwiegend nach Deutschland und in die Schweiz abwandert. Nur sechs von zehn Absolventen nehmen hierzulande auch einen Job an. Wartelisten für Turnusärzte gibt es keine mehr.

Gegen höhere Gehälter votiert freilich niemand. Woran sich die Ärzte aber stoßen, ist die angedachte Umschichtung der Arbeitszeit in den Tag. Der Patient sollte in den Nachmittagsstunden versorgt und der Nachtdienst um ein Drittel gesenkt werden. Dadurch reduziert sich auch der Personalbedarf. Wie später bekannt wurde, sollten bis 2018 nach einer genauen Evaluierung der Bereiche bis zu 380 Stellen eingespart werden. Außerdem wird es für die Mediziner dann schwerer, ihren Nebentätigkeiten in Privatordinationen oder als Notarzt weiter nachzugehen. Die Kurie der Ärztekammer empfahl vor der Wahl ein negatives Votum. Gegen den eigenen Präsidenten.

Der erklärt, dass eine Reduktion ohne Neu-Organisation nie Verhandlungsthema war. Szekeres tritt für attraktive Arbeitsbedingungen ein und eine Reduktion der Nachtdienste könne man nicht mit Vollzeit-Arbeitsplatzäquivalenten gleichsetzen. Nachsatz: "Das ist eine Milchmädchenrechnung." Für ihn sei das negative Votum erwartbar gewesen. Der KAV hätte laut Szekeres noch "nicht einmal im Ansatz begonnen", die vereinbarten Strukturmaßnahmen durchzuführen. Stattdessen habe man nur überlegt, wo und wie man Dienstzeiten und Personal einsparen könne. "Damit wird die Vereinbarung konterkariert und gebrochen", sagte Szekeres. Zudem wisse man beim KAV nicht einmal über den eigenen Personalstand bescheid.

Die Einigung über das niedergeschriebene Modell – Personalkürzungen inklusive – hält Szekeres dennoch für umsetzbar. Allerdings müssten zunächst die Rahmenbedingungen stimmen: Etwa eine Entlastung der Ambulanzen, die aber wegen der sinkenden Zahl der Kassenärzte nicht funktioniert. Die Verbesserung der Notfallaufnahme scheitert ebenfalls an zu wenigen Ärzten, die Stärkung des Ärztefunkdienstes klappt aufgrund der geringen Gehälter nicht. Auch die Übernahme von Tätigkeiten durch die Pflege ist nicht umsetzbar. Dafür gibt es noch zu wenig Personal.

Engpässe ab Mai

Schon jetzt kommt es in den Spitälern Österreichs zu längeren Wartezeiten bei geplanten Operationen oder in Ambulanzen. Mancherorts müssen Ambulanzen sogar für einige Zeit geschlossen werden. In den KAV-Spitälern sind gegenwärtig noch keine Einbußen bekannt, da der Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen noch läuft. Im Mai sind ohne Änderungen aber längere Wartezeiten zu erwarten, erklärt Wolfgang Weismüller, einer der Kammer-Vorstände. Vor allem, weil keiner der KAV-Ärzte eine Einverständniserklärung unterschieben hat und länger arbeiten wird.

Update:

Im 2. Absatz wurde - nach berechtigter Kritik eines Lesers - folgender Satz korrigiert: "Mit dem Votum von 87,44 Prozent stimmten die Ärzte nicht nur gegen das Verhandlungsergebnis, sondern auch gegen Szekeres."

Ursprünglich hieß es: "Mit dem Votum von 87,44 Prozent stimmten die Ärzte nicht nur gegen das Verhandlungsergebnis, sondern vor allem gegen Szekeres."

Wiener Krankenanstaltenverbund
Wiener Ärztekammer