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Ein klares Votum gegen Peking

Von Klaus Huhold

Politik

Der klare Wahlsieg von Amtsinhaberin Tsai-Ing-wen zeigt, wie weit sich das demokratische Taiwan bereits von der diktatorischen Volksrepublik China entfernt hat. Das macht die Insel für viel Hongkonger zum Vorbild. Eine Analyse.


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Auch manche Demokratieaktivisten aus Hongkong waren über den Ausgang der Wahl am Wochenende auf Taiwan erleichtert. Denn rund 60 in der Demokratiebewegung engagierte Hongkonger, die den Zugriff der Behörden in ihrer Heimat fürchten, haben in den vergangenen Monaten auf Taiwan Zuflucht gefunden. Die dortigen Behörden haben es zwar vermieden, die Volksrepublik China zu provozieren, indem sie den Geflohenen in keiner Form politisches Asyl gaben. Aber sie haben ihnen Arbeits-, Touristen und Studienvisa ausgestellt, die immer wieder verlängert wurden, berichtete ein Beamter der Nachrichtenagentur Reuters.

Nun hatte aber so mancher der betroffenen Hongkonger vor der Parlaments- und Präsidentenwahl befürchtet, dass diese die Kuomintang-Partei und ihr Kandidat für das Präsidentenamt, Han Kuo-yu, gewinnen würden. Die Kuomintang ist viel Peking-freundlicher als die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP). "Falls Han Kuo-yu gewählt wird, werde ich mir ein Flugticket kaufen und sofort in ein anderes Land fliehen", sagte ein Aktivist, der seinen Namen als Jero angab, vor der Wahl.

Hongkong und Taiwan sind kommunizierende Gefäße

Er kann auf Taiwan bleiben. Denn Amtsinhaberin Tsai Ing-wen von der DPP hat die Präsidentenwahl überlegen gewonnen, die 63-Jährige erhielt 57,1 Prozent der Stimmen, Han Kuo-yo lag mit 38,6 Prozent deutlich dahinter. Bei der Parlamentswahl verlor die DPP zwar ein wenig, sicherte sich aber 61 der 113 Sitze und damit erneut die Mehrheit. Die Kuomintang stellt 38 Abgeordnete, der Rest entfiel auf kleinere Parteien.

Die Wahl hat somit bewiesen, wie entscheidend die Beziehungen zu China für den Wahlausgang in Taiwan noch immer sein können. Denn Tsai und ihre DPP waren noch vor gut einem Jahr am Boden gelegen. Die Kommunalwahlen hatten sie in vielen Städten deutlich verloren, die Zustimmungswerte für die Präsidentin waren nach Pensionskürzungen im Keller. Die Hongkong-Krise spülte Tsai wieder nach oben.

Denn Hongkong und Taiwan sind kommunizierende Gefäße. Taiwan ist de facto unabhängig, wird aber von Chinas Kommunistischer Partei (KP) als abtrünnige Provinz angesehen. Und Chinas Präsidenten Xi Jinping schwebt für Taiwan wie für Hongkong das Modell "Ein Staat- zwei Systeme" vor.

Doch das lehnt der Großteil der Taiwaner ab. Für sie ist Hongkong ein Beispiel dafür, wie sehr Taiwans Demokratie bei einer Wiedervereinigung mit China gefährdet wäre - und die Proteste in Hongkong samt der teils unnachgiebigen Haltung der KP waren ihnen ein Beweis dafür.

Vor diesem Hintergrund verfing Tsais Parole "Widerstand gegen China, Taiwan verteidigen". Konkret bedeutet das: Die DPP sucht Distanz zu China, indem sie politische und wirtschaftliche Kontakte in andere Länder pflegt. Und sie betont immer wieder die eigene demokratische Identität Taiwans. Die DPP und Tsai nehmen dafür in Kauf, dass Peking die diplomatischen Kontakte eingefroren hat und militärische Drohungen gegen Taiwan ausstößt. Die Kuomintang hingegen sucht die Nähe zu China, weil nur das ihrer Ansicht nach Taiwan Sicherheit und Wohlstand bringe.

DemographischerVorteil für die DPP

Doch das Modell der Kuomintang zieht offenbar nicht mehr. Die DPP genießt hier auch einen demografischen Vorteil. Nach Taiwan gab es über die Jahrhunderte mehrere Auswanderungswellen von Chinesen. Die letzte ereignete sich im Jahr 1949, als die Nationlisten den Bürgerkrieg gegen Mao Zedongs Kommunisten verlor. Die damaligen Auswanderer bildeten das Rückgrat der Kuomintang, die Taiwan bis in die 1990er Jahre hinein diktatorisch regierte, sie besitzen noch eine sehr starke chinesische Identität. Doch vor allem die jungen Bürger der Insel sehen sich, das belegen Umfragen, zusehends als Taiwaner mit eigener Identität und immer weniger zu China zugehörig. Die DPP gibt dieser Haltung viel stärker Ausdruck als die Kuomintang.

Ein fester Bestandteil dieser Haltung ist, dass Taiwan im Gegensatz zum Ein-Parteien-Staat China eine Demokratie ist. Und Taiwans Präsidentin verortet ihr Land hier offenbar auch in einem überregionalen Kontext. "Ich denke, viele demokratische Länder in der Welt, und viele Freunde in Hongkong, werden glücklich über unsere kollektive Entscheidung sein", sagte Tsai bei ihrer Siegesrede. Das brachte ihr viel Applaus von denjenigen Hongkongern ein, die von ebenso freien allgemeinen Wahlen in ihrer Stadt träumen. "Ich hoffe, Hongkong kann einmal wie Taiwan sein", sagte Ventus Lau, der am Wochenende in Hongkong eine Kundgebung gegen die KP organisiert hatte. Mit dieser Wahl hat sich die Strahlkraft Taiwans Richtung Hongkong noch einmal verstärkt.