)
Bei der 26. Weltklimakonferenz sitzen die USA nicht mehr als stiller Störenfried mit am Tisch, sondern als globaler Vorreiter.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Große Erwartungen hatte es auch vor zwei Jahren schon gegeben, als die internationalen Klimaverhandler zum bisher letzten Mal bei einer großen Konferenz zusammengekommen sind. In den Sommermonaten war damals nicht nur ein Temperaturrekord nach dem anderen gefallen, die Politik bekam auch den Unmut über die geringen Fortschritte im Kampf gegen die Erderwärmung so sehr zu spüren wie nie zuvor. Angeführt von der jungen schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg gingen Millionen junge Menschen im Rahmen der "Fridays for Future"-Proteste auf die Straße.
Zu Ende gegangen ist die Weltklimakonferenz in Madrid im Dezember 2019 aber vor allem mit enttäuschten Hoffnungen. Die internationale Staatengemeinschaft, die sich 2015 mit der Pariser Klimabekommen dazu entschlossen hatte, den globalen Temperaturanstieg bis 2100 auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, einigte sich in der spanischen Hauptstadt lediglich auf Minimalkompromisse. Entsprechend vage und unverbindlich fiel auch die Abschlusserklärung des Gipfels aus: Die größten Streitpunkte wurden entweder mit wenig konkreten Absichtserklärungen kaschiert oder überhaupt gleich vertagt.
Große Erwartungen gibt es auch nun, wenn nach der coronabedingten zweijährigen Pause an diesem Wochenende im schottischen Glasgow endlich der Startschuss für die 26. Weltklimakonferenz fällt. Gespeist wird die Hoffnung dieses Mal allerdings weniger durch die globale Mobilisierungskraft der jungen Klimaaktivisten als durch den Machtwechsel im Weißen Haus. Denn Joe Biden hat die USA nicht nur mit seiner allerersten Amtshandlungen als neuer Präsident wieder zurück ins Pariser Abkommen geführt. Der 78-jährige Demokrat will sein Land - nach der von Rückzugsgefechten geprägten Amtszeit seines Vorgängers Donald Trump -auch zum globalen Vorreiter in Sachen Klimaschutz machen.
So hat Biden bereits Ende April bei einem von ihm veranstalteten Klimagipfel mit 40 Staats- und Regierungschefs ein neues ambitioniertes Treibhausgasziel ausgegeben. Bis 2030 wollen die USA ihre Emissionen gegenüber dem Basisjahr 2005 um 50 bis 52 Prozent senken. 2050 sollen die Vereinigten Staaten dann ebenso wie die EU klimaneutral sein.
Biden, der in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft seinen Klimaschutzbeauftragten John Kerry um den halben Erdball geschickt hat, um andere Länder zu mehr Ehrgeiz zu motivieren, ist es damals aber auch gelungen, andere Staaten mit ins Boot zu holen. Japan, das in der Vergangenheit oft als wenig ambitioniert kritisiert worden war, schärfte seine Klimaziele ebenso deutlich nach wie der nördliche US-Nachbar Kanada.
"Ein sehr positives Signal"
Eine ähnliche Dynamik wie im April könnte sich nun auch in Glasgow einstellen, wo die Staats- und Regierungschefs ab nächstem Montag zwei Tage lang die entscheidenden Anfangsimpulse für die fast vierzehntägigen Verhandlungen setzen sollen. "Wenn der zweitgrößte Treibhausgasemittent der Welt demonstriert, dass er eine konstruktive Rolle in diesen Verhandlungen spielt, dann ist das schon ein sehr positives Signal", sagt Klimaexperte Stefan Schleicher im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Das wird natürlich auch Einfluss auf die Stimmung in Glasgow haben."
Dass die internationale Staatengemeinschaft deutlich ehrgeiziger werden muss, um die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß zu begrenzen, steht dabei schon seit Jahren außer Zweifel. Denn selbst die neuesten Klimaversprechen der Staaten reichen laut den Berechnungen des UN-Klimasekretariats IFCC nur für eine Reduzierung der Treibhausgase um 7,5 Prozent bis zum Jahr 2030. Für das 1,5-Grad-Ziel, das im Pariser Klimaabkommen als anzustrebende Endmarke verankert ist, würden allerdings 55 Prozent benötigt, für eine Begrenzung auf 2 Grad noch immer 30 Prozent.
Gleichzeitig schreitet die Erderwärmung immer weiter voran, wie der UN-Weltklima-Rat zuletzt im Sommer mit seinem Alarmruf klargemacht hat: Wenn nicht schnell gehandelt werde, würden die 1,5 Grad schon in 20 Jahren überschritten. Dürren, Stürme und Überschwemmungen träten immer häufiger auf, heißt es im Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), dem rund 14.000 Studien zugrunde liegen.
Schwellenländer im Fokus
Einfach wird es für die neue Klimaschutz-Allianz aus USA und EU in Glasgow aber auf gar keinen Fall. Denn Biden kommt nicht nur ohne den erhofften Rückenwind zum Klimagipfel, weil sein großes Klima-Paket auf Grund von Flügelkämpfen in der demokratischen Partei unerledigt im US-Kongress festhängt. Auch die großen Schwellenländer China, Indien und Brasilien könnten in Schottland noch Sand ins Getriebe streuen. Denn vor allem die Volksrepublik agiert - nachdem Staatschef Xi Jinping im September 2020 bei der virtuellen UN-Generalversammlung den Weg seines Landes zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2060 skizziert hat - nun wieder deutlich defensiver. So hat China am Donnerstag zwar quasi in letzter Minute seine überarbeiteten Nationalen Klimaschutzpläne (Nationally Determined Contributions - NDC) eingereicht, doch statt der erhofften und im Pariser Klimaabkommen auch alle fünf Jahre vorgesehenen Verschärfungen enthält das Dokument primär die von Xi bereits vor einem Jahr gemachten Versprechungen (siehe auch Artikel unten).
Xi kommt nicht nach Glasgow
Dass der global größte Klimasünder in Glasgow nun noch einen Gang zulegen wird, scheint nicht zuletzt wegen der massiven Energiekrise, die bereits zu großflächigen Produktionsproblemen in der chinesischen Industrie geführt hat, nur schwer vorstellbar. In der schottischen Metropole wird China daher auch nur durch Vize-Umweltminister Zhao Yingmin und den Klimabeauftragten Xie Zhenhua vertreten sein. Präsident Xi, der der bereits dem als wichtigen Vorbereitungstreffen für die Klimakonferenz geltenden G20-Gipfel in Rom an diesem Wochenende ferngeblieben ist, wird lediglich eine kurze Videobotschaft schicken.
Tatsächlich verhandelt wird über die von jedem Land für sich festgelegte NDCs in Glasgow aber ohnehin nicht. Die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens festgelegte Architektur setzt darauf, dass der öffentliche Druck letztlich dazu führt, dass Länder wie Indien, Saudi-Arabien oder die Türkei, die bisher noch keine nachgebesserten Klimaschutzpläne vorgelegt haben, dies über kurz oder lange tun werden.
Gleiches gilt im Prinzip auch für die von den Industrieländern versprochenen Klimahilfen für Entwicklungsländer im Umfang von jährlich 100 Milliarden Dollar ab dem Jahr 2020. Doch anders als bei den NDCs dürfte über die Unterstützungsleistungen, mit denen neben Klimaschutzprojekten auch Anpassungsmaßnahmen an die Erderwärmung finanziert werden sollen, in Glasgow heftig diskutiert werden. Denn die Hilfszahlungen liegen mit zuletzt 80 Milliarden Dollar deutlich unter der versprochenen Summe und dürften die geplanten Zielmarke erst mit gehöriger Verspätung im Jahr 2023 erreichen. Im Gegensatz zu den Verhandlungen in Paris 2015, wo Einstimmigkeit für die Verabschiedung des historischen Klimaabkommens notwendig war, haben die ärmeren Länder aber diesmal deutlich schlechtere Karten. "Die Entwicklungsländer haben hier derzeit kein kräftiges Abtauschelement", sagt Klimaforscher Schleicher. "Und sie haben auch so gut wie keine Blockademöglichkeiten."
Doppelzählung als Problem
Auch formal auf der Agenda stehen dagegen die Verhandlungen über den angepeilten weltweiten Emissionshandelsmarkt und den dazugehörigen Artikel 6 im Pariser Klimavertrag, die ebenfalls als heiße Eisen gelten und deswegen auch bei der Vorgängerkonferenz in Madrid vertagt wurden.
Gestritten wird dabei nicht zuletzt um die künftige Fortführung des Clean Development Mechanism (CDM). Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit etwa für Konzerne oder Staaten, Projekte in ärmeren Staaten zu finanzieren und auf die eigene Klima-Bilanz anrechnen zu lassen. Klimaschutz passiert damit vor allem dort, wo er am einfachsten und kostengünstigsten umzusetzen ist. Doch das System hat langfristig betrachtet seine Tücken. Denn wenn der CDM in der bisherigen Form fortgeführt wird, hilft er vergleichsweise wenig, um die angestrebte Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts zu erreichen. Statt einer tatsächlichen globalen Reduktion käme es nämlich nur zu einer Verschiebung von Treibhausgaseinsparungen zwischen den reichen Staaten und den ärmeren Ländern, von denen derzeit noch ein weniger energisches Vorgehen gegen die Erderwärmung verlangt wird.
Zudem scheint der CDM in der bisherigen Form auch anfällig für Missbrauch oder zumindest eine unsaubere Handhabung zu sein. Problematisch sind in diesem Zusammenhang vor allem Doppelanrechnungen von Emissionseinsparungen, wenn etwa der von einem Industriestaat bezahlte Bau eines Solarkraftwerks in einem Entwicklungsland sowohl dem Finanzier als auch dem Standortland zugerechnet wird. Nach Schätzungen von NGOs könnte fast die Hälfte der Projekte davon betroffen sein. "Je nachdem wie die Regeln formuliert werden, kann Artikel 6 entweder dazu beitragen, die größten Gefahren der globalen Erwärmung zu verhindern, oder er kann die Staaten vom Haken lassen, wenn es darum geht, substanzielle Klimaschutzentscheidungen zu treffen", sagt Yamide Dagent, Direktor für Klimaverhandlungen beim World Resources Insititute, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die Gefahr, dass nach Madrid auch Glasgow zum Klimagipfel der enttäuschten Hoffnungen wird, ist also nicht ausgeschlossen.