Zum Hauptinhalt springen

Ein Knicks, der im Gedächtnis bleibt

Von Thomas Seifert

Politik

Die Außenpolitik der türkis-blauen Bundesregierung: Der Knicks der Außenministerin vor dem russischen Präsidenten und das Ausscheren aus dem Migrationspakt waren die umstrittensten Punkte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ein Europa, das schützt. So lautete das Motto des EU-Ratsvorsitzes der ÖVP-FPÖ-geführten Bundesregierung. Für Bundeskanzler Sebastian Kurz war der Ratsvorsitz eine Möglichkeit, sich auf der europäischen Bühne als Staatsmann zu präsentieren, gleichzeitig äußerten einige politische Beobachter im Vorfeld die Sorge, ob die EU-kritische FPÖ den Ratsvorsitz mit Misstönen stören könnte - was sich als unbegründet herausstellen sollte.

Kurz verbucht den Ratsvorsitz naturgemäß als einen der außenpolitischen Erfolge seiner Bundesregierung. Kurz zur "Wiener Zeitung": "Thematisch gab es viele Projekte, die wir erfolgreich vorantreiben konnten, von der Einleitung der Trendwende in der Migrationspolitik, über Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise bis hin zur Vorbereitungsarbeit zum EU-Budget für 2021-27." Während der österreichischen EU-Präsidentschaft wurden das EU-Afrika-Forum in Wien abgehalten und Fortschritte in den Beitrittsverhandlungen mit Serbien und Montenegro erzielt.

Wobei die FPÖ am Westbalkan mehrfach für Aufregung gesorgt hat: Heinz-Christian Strache hatte sich für eine Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien-Herzegowina starkgemacht und wurde dafür vom separatistischen Präsidenten der serbischen Republika Srpska, Milorad Dodik, mit einem Orden belohnt. In Belgrad hatte Strache sich mit der Aussage in einem Interview mit einer serbischen Zeitung beliebt gemacht: Der Kosovo sei "zweifelsohne" ein Bestandteil Serbiens. Eine Position, die nicht der außenpolitischen Linie Österreichs entspricht. Straches Ausritte waren für Kurz durchaus ein Problem.

Es gab aber in Expertenkreisen auch Verwunderung darüber, dass die Bundesregierung dem zunehmenden Abbau von Grund- und Freiheitsrechten am Westbalkan - vor allem in Serbien und Montenegro - relativ teilnahmslos gegenübergestanden ist. Auch die von Kurz ins Spiel gebrachte Idee eines Gebietsaustausches entlang ethnischer Grenzen zwischen Serbien und dem Kosovo - die auch von EU-Kommissar Hahn und Bundespräsident Alexander Van der Bellen unterstützt wurde - wird kritisch gesehen. Außenministerin Karin Kneissl und die Diplomaten im Außenamt sollen von der Idee übrigens alles andere als begeistert gewesen sein.

Österreich und Israel - eine Annäherung

In der eigenen Erfolgsbilanz über die Außenpolitik der Bundesregierung wird auch die Stärkung der bilateralen Beziehungen zu Israel hervorgehoben. Tatsächlich gab es während der Amtszeit der ÖVP-FPÖ-geführten Bundesregierung eine rege Besuchsdiplomatie, der damalige Kanzler Kurz betonte bei seinen Besuchen, dass Israels Sicherheit für Österreich Staatsräson sei, und Kurz sprach auch von der klaren historischen Verantwortung Österreichs. Gleichzeitig musste Kurz sich bei seinem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem unangenehme Fragen zum Koalitionspartner FPÖ gefallen lassen: Einige Politiker seines Koalitionspartners FPÖ müssten darüber informiert werden, was der Holocaust gewesen sei, hatte die Gedenkstätten-Führerin dort zu Kurz gesagt - was ihr prompt eine Beschwerde der österreichischen Botschaft bei Yad Vashem eingebracht hat.

Obwohl Strache sich seit Jahren um Kontakte zu Israels rechten Parteien bemüht hat, gab es während der Zeit der türkis-blauen Regierungszeit keine offiziellen Kontakte Israels zur FPÖ. Und das obwohl Strache kurz vor seiner Angelobung zum Vizekanzler die Verlegung der österreichischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem vorgeschlagen hatte und damit dem Beispiel von US-Präsident Donald Trump gefolgt war.

Heinz Gärtner, Universitätsprofessor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien und der Donauuniversität Krems und ehemaliger Direktor des österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip), sieht die Israel-Politik der letzten Bundesregierung in einem Beitrag im kürzlich erschienenen Buch "Die Schwarz-Blaue Wende in Österreich" durchaus kritisch: "Diese Politik führt dazu, dass Österreich immer weniger ein Ansprechpartner der palästinensischen Vertretung ist, wie es seit den siebziger Jahren war. Allerdings betonte Außenministerin Karin Kneissl, dass Österreich, wie die EU, im Gegensatz zum israelischen Premierminister an der Zweistaatenlösung, Israel und Palästina, festhält."

Schieder: Zu wenig für Atomabkommen getan

Die freundliche Politik gegenüber dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu hatte noch eine weitere Folge: Obwohl das Atomabkommen zwischen dem Iran und den UN-Sicherheitsratsmächten plus der EU in Wien verhandelt und unterzeichnet wurde, unternahm die Bundesregierung nichts, um das Abkommen zu retten, wie der SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Andreas Schieder im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" kritisiert. Die zwei umstrittensten Punkte der Außenpolitik der letzten Bundesregierung waren aber die Beziehungen zu Russland und Österreichs Haltung zum Migrationspakt.

Der grüne Kandidat für den Nationalrat Michel Reimon gegenüber der "Wiener Zeitung": "Die unglaublich unprofessionelle Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Hochzeit von Außenministerin Karin Kneissl samt dem demütigenden Knicks war der konsequente Tiefpunkt der österreichischen Außenpolitik." Türkis-Blau sei ein enger Verbündeter der problematischen Regierungen in Ungarn und Polen gewesen und habe das Verhältnis zu Deutschland und Frankreich zerrüttet. Reimon: "Österreich war auf dem Weg, ein Mitglied der Visegrad-Staatengruppe zu werden. Dazu hat auch die Außenpolitik gepasst: Rückzug aus der Entwicklungshilfe und internationaler Kooperation, aber Putin bei jeder Gelegenheit das Goderl kratzen."

Die Stimmenthaltung beim UN-Migrationspakt war der größte außenpolitische Erfolg der FPÖ: Jahrelang haben österreichische Spitzenbeamte dieses Papier entlang der Verhandlungslinien des damaligen Außenministers Sebastian Kurz bei den Vereinten Nationen in New York mitverhandelt und plötzlich hieß es aus Wien, dass maximal eine Stimmenthaltung in Frage käme. Die Außenministerin musste von der FPÖ - in der einige sogar für eine Ablehnung plädiert hatten - freilich erst davon überzeugt werden, diese Linie mitzutragen. Zwölf Länder (darunter Österreich) enthielten sich bei der Abstimmung über den Pakt in der UN-Vollversammlung in New York im Dezember 2018 der Stimme; für den Pakt stimmten 152 von 193 UN-Mitgliedsländern. Die USA, Polen, Ungarn, Israel und die Tschechische Republik stimmten dagegen.

Dem Ruf Österreichs als UN-Standort und wichtige Stimme des Multilateralismus hat das Ausscheren Wiens jedenfalls schweren Schaden zugefügt, dass Kurz sich in dieser Frage nicht demonstrativ gegen die FPÖ
gestellt hat, wird ihm bis heute im Außenministerium von einer Reihe von Spitzendiplomaten übel genommen.

Krisper: Türkis-Blau tat nichts gegen Fluchtursachen

Die außenpolitische Sprecherin der Neos, Stephanie Krisper, geht in ihrer Kritik noch einen Schritt weiter: "Nach der Flüchtlingskrise 2015 sprachen alle von Hilfe vor Ort. Tatsächlich kürzte die schwarz-blaue Regierung die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und leistete absolut gar nichts, um Fluchtursachen zu bekämpfen, wie sie das versprochen hatte." Tatsächlich leistet Österreich in der Entwicklungszusammenarbeit so wenig wie seit 2004 nicht mehr. Die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit liegen bei 0,26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - das UN-Ziel liegt bei 0,7 Prozent. Der SPÖ-Europaabgeordnete Schieder kritisiert zudem, dass Österreich auf europäischer Ebene keine konkreten Vorschläge zur Lösung der Migrationsfrage eingebracht habe.

Sebastian Kurz beteuert gegenüber der "Wiener Zeitung" die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen: "Wir haben ein großes Interesse an einer starken Europäischen Union sowie gut funktionierenden internationalen Organisationen wie der UNO, an internationaler Zusammenarbeit und insbesondere an der Vermeidung von Handelskriegen. Dafür haben wir uns intensiv eingebracht und werden das auch weiterhin im Rahmen unserer Möglichkeiten tun."