Der ehemalige EU-Landwirtschaftskommissar im Interview. | Volkspartei kann nur durch neue, eigene Themen aus der Defensive kommen.
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"Wiener Zeitung": ÖVP-Obmann Michael Spindelegger will einen Verhaltenskodex für seine Partei erarbeiten lassen. Was halten Sie von einem Kodex für mehr Anstand in der ÖVP?Franz Fischler: Ein Verhaltenskodex ist etwas Gutes. Aber ich halte nichts davon, einen ÖVP-Verhaltenskodex zu machen, sondern er muss für alle gelten - für Regierungsmitglieder, Abgeordnete und für die diversen Kabinette. Wenn ein Kodex nur für einen Teil der Politik gilt, ist das absurd - entweder es gibt eine Norm, oder es gibt keine Norm.
Wäre ein solcher Kodex zu Ihrer Zeit als Politiker nötig gewesen?
Meine Zeit in der österreichischen Politik war jene Phase, in der es im Wesentlichen nur ein Thema gab, nämlich die Frage, wie man Österreich auf den EU-Beitritt vorbereitet. Daher war wenig Zeit für Polit-Spielchen. Aber ich empfand es als wohltuend, so etwas zu haben, als ich nach Brüssel kam. In der EU-Kommission war ich einen Verhaltenskodex - er gilt für Beamte und Kommissare - gewohnt. Es gab klare Regeln, wie Kabinettsmitglieder mit den eigenen Beamten und der Generaldirektion umzugehen hatten, ebenso wie zur Annahme von Geschenken. Merkwürdig war, dass ein Kommissar ein Geschenk im Wert von 110 Euro annehmen durfte und ein EU-Beamter ein Geschenk im Wert von 130 Euro. Niemand wusste, warum das so war, es ist irgendwann entstanden.
Laut dem früheren ÖVP-Obmann Erhard Busek muss man als Politiker auch sein Verhalten gegenüber Freunden ändern. Müssen Politiker automatisch wissen, dass für sie spezielle Regeln gelten?
Grundsätzlich gelten für einen Politiker strengere Regeln als für jemand Privaten. Gerade deswegen ist es gut, wenn diese Regeln festgeschrieben sind. Dann weiß jeder, woran er ist, Zuwiderhandeln ist von vornherein nicht möglich. Der wunde Punkt ist die Parteienfinanzierung und was als Geschenkannahme gilt, ebenso wie die Finanzierung von Wahlkampagnen einzelner Kandidaten. Einerseits ist es ein ziemlicher Unsinn zu sagen, Parteispenden sind verboten. Andererseits müssen sie transparent sein für alle, auch für Parteien nahestehende Institutionen.
Die ÖVP bekommt im Korruptions-Untersuchungsausschuss ihr Fett ab. Wie sehr ist sie wirklich betroffen?
Wie sehr die ÖVP betroffen ist, kann ich nicht sagen, denn ich bin nicht involviert. Allerdings wird - und das stört mich in der Zwischenzeit - mittlerweile in einer undifferenzierten Weise alles und jedes auf eine Stufe gestellt. Mein Eindruck ist, dass zum Teil die Medien dem Herrn Hochegger auf den Leim gegangen sind. Seit er groß ausgepackt hat, ist die Diskussion hochgekocht.
Man muss unterscheiden zwischen dem, was unsauber war, und Lappalien. Wenn ein Politiker bei einer Firma interveniert, ob sie einen Verein fördern würde, ist das - sofern es offen gemacht wird - die Entscheidung dieser Firma, ob sie das tut. Ansonsten würden ja auch Caritas-Aktionen schon zum Problem. Irgendwo fehlt das Gespür dafür, was geht und was nicht - nicht nur bei Politikern oder den Medien, sondern in der Gesellschaft, der zu einem gewissen Grad das Gefühl für Recht und Unrecht abhanden gekommen ist.
Was muss die ÖVP tun, um aus der Defensive zu kommen?
Dafür gibt es leider kein Kochrezept. Es wird sicher alles andere als leicht. Ansatzpunkte sind Projekte oder Themen, von denen erkennbar ist, dass erstens ein gesellschaftliches Interesse gegeben ist und zweitens, dass die ÖVP dafür steht. Abgesehen von den ganzen Vorwürfen ist eines der größten Probleme, dass es zurzeit praktisch kein Thema gibt, das unbestritten eine ÖVP-Kompetenz ist. Die ÖVP muss klare Themen setzen.
Ich nehme an, Sie möchten derzeit keine Empfehlung erteilen?
Sie nehmen richtig an.
Der aus der ÖVP stammende Berater Matthias Strolz hat angekündigt, unter dem Motto "offen, ehrlich, wertschätzend" eine neue politische Kraft gründen zu wollen. Kann so eine neue, junge Partei der ÖVP gefährlich werden?
Es gibt Situationen, in denen das funktionieren kann. Als die Innsbrucker ÖVP im Absturz war, kam es zu einer Erneuerungsbewegung, die als eigene Wahlbewegung kandidierte. Herwig van Staa, der aus dieser Bewegung kam, wurde in der Folge Bürgermeister. Auf der staatlichen Ebene ist das wahrscheinlich schwieriger. Was nicht funktioniert, sind Schnellschüsse - "brav und anständig" ist ja noch kein Parteiprogramm, vor allem wenn es nur ein Kontrast ist zu gegebenen oder vermeintlichen Zuständen. Selbst Leute mit viel Geld benötigen mehr Überlegungen: Zum Beispiel halte ich die Ideen, mit denen Frank Stronach derzeit auftritt, nicht unbedingt für zukunftsweisend.
Die Schwierigkeit ist nur, dass es keinerlei Anzeichen gibt, dass sich die ÖVP erfängt. Je deutlicher das wird, umso größer wird der Ruf nach Alternativen werden. Wenn sich die ÖVP nicht bewegt, ist sie tot. Das ist eindeutig.<br style="font-style: italic;" /> Zur Person: Franz Fischler
geboren am 23. September 1946 in Absam, war von 1989 bis 1994 Landwirtschaftsminister (ÖVP). 1995, nach Österreichs Beitritt, wechselte er als EU-Kommissar nach Brüssel. Dort war er bis 2004 zuständig für Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raums. Fischler wurde im März zum neuen Präsidenten des Europäischen Forum Alpach gewählt.