Im Wiener Terrorprozess bekommt man selten etwas von der Tragweite mit. Ein Stimmungsbild.
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Am Donnerstag wurden im Terrorverfahren von Wien weitere Zeugen vernommen. Sechs Personen zwischen 22 und 32 Jahren sind angeklagt, weil sie dem Attentäter K.F. bei der Planung und Vorbereitung des Anschlags vom 2. November 2020 geholfen haben sollen. Vier Unschuldige starben, bevor K.F. von der Polizei erschossen wurde. 22 weitere Personen wurden an dem Abend teils schwer verletzt.
Am elften Verhandlungstag wurde eine Besitzerin eines Fitnesscenters geladen, die bestätigen sollte, ob der Viertangeklagte am Nachmittag des Anschlags dort trainieren war. Sie konnte sich an ein angebliches Gespräch mit dem Angeklagten zwar nicht mehr erinnern, erzählte aber von einem Foto eines Regenbogens, aus dem sie schließe, dass sie zumindest am späten Nachmittag spazieren war. Der Besuch des Angeklagten fand laut Verteidiger kurz nach Mittag statt. Die Befragung dauerte nur wenige Minuten.
Komplizierte Befragung hat endlich geklappt
Nach einigen gescheiterten Anläufen konnten am Donnerstag auch zwei Mitarbeiter eines slowakischen Waffengeschäftes befragt werden, die dem Attentäter und dem Erstangeklagten keine Munition für ein Sturmgewehr verkaufen wollten. Die Befragung war mehrmals verschoben worden, weil es Probleme mit der Anonymisierung gab. In der Slowakei darf man visuell und akustisch unkenntlich gemacht werden, in Österreich muss die Mimik erkennbar sein.
Um ihnen auch in Österreich Anonymität zuzusichern, wurde die Öffentlichkeit bei der Befragung am Donnerstag ausgeschlossen und die Angeklagten aus dem Saal gebracht. Im Anschluss fasste der Richter die Befragung zusammen und es stellte sich heraus, dass sich die Versionen der anonymen Zeugen mit der des Erstangeklagten teilweise widersprechen.
Die Befragungen am Donnerstag dienen als gutes Stimmungsbild eines Prozesses, der einen merkwürdigen Eindruck auf die Beobachter macht. Gäbe es nicht zusätzliche Sicherheitskontrollen und würden sich im Saal nicht ständig sechs schwerbewaffnete Beamte der Justizwache aufhalten, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es sich hier um gar keinen Terrorprozess handelt. Selbst die Verteidiger der Angeklagten stimmen dem zu.
Keine neuen Erkenntnisse zu erwarten
Sie nehmen den Richter allerdings auch in Schutz: Schon bei Beginn sei klar gewesen, dass es im Laufe des Prozesses keinen großen Erkenntnisgewinn geben wird, die Staatsanwaltschaft habe alles auf den Tisch gelegt.
Auf der einen Seite wird das Verfahren deshalb in einem Höllentempo durchgezogen, Zeugenbefragungen dauern nur wenige Minuten, mehrere Verfahrenstage wurden vom Richter gestrichen, nachdem Anträge zu Einvernahmen zurückgezogen wurden. Der Vorsitzende hält sich mit seinen Fragen zurück, wohl auch, weil alles schon in den Akten zu lesen war. Die Geschworenen stellten nur bei den Einvernahmen der sechs Angeklagten viele Fragen, seitdem nur wenige.
Auf der anderen Seite liegt das auch an den geladenen Zeugen, die, wie die Fitnesscenter-Besitzerin, nur wenig zum Verfahren beitragen konnten. Ein weiterer Zeuge besuchte mit dem Drittangeklagten einen AMS-Kurs, sah ihn "zehn bis fünfzehn Mal" und konnte mit ihm problemlos Witze über Religion machen. Mehr konnte der Zeuge nicht berichten.
Die schlechte Akustik im großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichtes in Wien trägt ihr Übriges zum Stimmungsbild bei: Einige der Verteidiger hatten Probleme, die Zeugen zu verstehen. Sie wiederholten Fragen mehrmals und zogen sich damit in einigen Fällen den Unmut der Geschworenen zu.
Befragung der Mutter des Attentäters einordnend
Lediglich bei einer Befragung wurde die Tragweite dessen greifbar, worum es in dem Prozess eigentlich geht: Haben die Angeklagten einem Attentäter dabei geholfen, vier Menschen zu töten und 22 weitere zu verletzen? Dieser eine Moment war der Auftritt der Mutter des Attentäters. Ihr inhaltlicher Beitrag war mit der Identifizierung von zwei Angeklagten, die mit ihrem von der Polizei erschossenen Sohn befreundet waren, eher gering. Das sagten die beiden auch schon in ihrer Befragung aus. Aber die 47-Jährige machte das Trauma greifbar, das das Attentat vom 2. November 2020 hinterlassen hat. Nicht nur bei den Opfern und deren Hinterbliebenen, sondern auch bei der Mutter, die selbst nicht konservativ ist, ihren Sohn aber an den islamistischen Extremismus verloren hat.
Selbst die Befragung der DNA-Expertin, auf deren Ergebnissen viele Punkte der Anklage beruhen, mutete skurril an. Die Expertin warf sich das Gewehr über die Schulter und drückte es einem Geschworenen zum Halten in die Hand, während sie erklärte, wo man darauf die DNA-Spuren gefunden hat.
Die Beweisaufnahme im Verfahren ist noch nicht beendet, es sollen nächste Woche noch weitere Zeugen einvernommen werden, darunter aller Voraussicht nach auch ein Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LVT) in Wien. Der Prozess ist bis 2. Februar angesetzt, man rechnet mit einem früheren Urteil.