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Ein Kommunist und Kapitalist

Von WZ-Korrespondent Janis Vougioukas

Wirtschaft
Lin Yifu: Wie bei vielen Chinesen wohnen auch in seiner Brust zwei Seelen. Foto: ap

Floh einst von Taiwan nach China. | Wichtiger Berater für Chinas Regierung. | Shanghai. Ein Chinese wird Chefökonom der Weltbank: Lin Yifu. Der Gründer und bisherige Chef des einflussreichen "China Center for Economic Research" an der Pekinger Universität gilt als einer der wichtigsten Wirtschaftsberater der chinesischen Führung.


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Im Reich der Mitte ist der 55-jährige Professor, der 1979 als Soldat von seiner Heimat Taiwan nach China desertierte, der wirtschaftspolitische Kopf hinter den Fünfjahresplänen. Typisch für Lin ist der pralle Optimismus - ebenso die sonderbare Verbindung von kapitalistischen Grundsätzen und Planwirtschaftsideologie. Der Mensch Lin Yifu (sein Name ist eine Anlehnung an ein Konfuzius-Zitat) ist genau so schwer zu begreifen wie seine Wahlheimat: Er ist gleichzeitig Kapitalist und Kommunist, das gibt es nur in China.

Bruch mit Traditionen

Für die Weltbank ist die Ernennung von Lin Yifu keine gewöhnliche Personalie. Seit der Asien-Krise 1997 steht die Organisation in der Kritik, einseitig die Interessen der Industrie-Nationen zu vertreten - oft zum Schaden der Entwicklungsländer. Der neue Weltbank-Präsident Robert Zoellick bemüht sich seit seinem Amtsantritt im vergangenen Sommer, zwischen Geber- und Nehmer-Nationen zu vermitteln.

"China gehörte lange zu den Hilfsempfängern der Weltbank. Heute ist China ein finanzstarkes Land mit Währungsreserven von über 1500 Milliarden Dollar", kommentiert die Tageszeitung "Oriental Morning Post" Lins Ernennung mit hörbarem Stolz. Im vergangenen Jahr hat Peking erstmals einen Beitrag zur Finanzierung der Weltbank geleistet. Lin wird als erster Chinese (Asiate) einen Posten bekleiden, den traditionell Europäer und Amerikaner für sich beansprucht haben. Seit 1993 ist er Berater der Weltbank.

Kräfte verschieben sich

Tatsächlich dokumentiert Lins Aufstieg auch die Kräfteverschiebung der Weltwirtschaft. Denn seit Jahrhunderten galt das westliche Wirtschaftsmodell als einziger Weg für Wachstum und Entwicklung. Chinas rasanter Aufstieg hat alte Denkmodelle zerrüttet. In Afrika, Lateinamerika, Zentralasien und Russland gilt Chinas Planwirtschaft heute als das erfolgreichste Modell für Wirtschaftsentwicklung.

Nach Taiwan ist Lin übrigens nie wieder zurückgekehrt, nicht einmal als sein Vater vor sechs Jahren beerdigt wurde. Taiwans Militär sucht noch immer nach dem fahnenflüchtigen Deserteur. Doch seine Frau ist ihm inzwischen gefolgt und lebt heute mit ihm in Peking.

+++ Wissen: Die Weltbank