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Ein Kompromiss mit Zähneknirschen

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Europaarchiv

Koalition erhofft sich Entlastung. | Kernpunkt ist der "Gesundheitsfonds". | Berlin. Dienstag nachmittag wollen die Vorsitzenden der Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD in Berlin gemeinsam das Papier zur Gesundheitsreform vorstellen. Damit ist eines der wichtigsten Projekte der schwarz-roten Regierung auf den Weg gebracht.


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Die Koalition mutet den Bürgern weitere Belastungen zu. Entsprechend wütend sind die Reaktionen. Als "unanständig und verantwortungslos" geißelte FDP-Chef Guido Westerwelle die bisher bekannten Punkte der Reform. Sie führten zum "Kassensozialismus und zur Planwirtschaft". FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle kritisiert, dass der Faktor Arbeit Jahr mit fünf Milliarden Euro zusätzlich belastet werde.

Ins gleiche Horn stößt der SPD-nahe "Wirtschaftsweise" Bert Rürup, der von einem "eher bescheidenen Kompromiss auf einem kleinen gemeinsamen Nenner" sprach. "Das ist kein Durchbruch, eher ein Beinbruch. Keine Gesundheitsreform, sondern eine Krankheit", kalauert der Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der "Linkspartei. PDS", bezeichnet die Beitragserhöhung für Versicherte bei gleichzeitigen Steuergeschenken für Unternehmen als "dreist".

Die Apotheker kündigen sogar Gegenwehr an. Ihnen drohe bei den vorgesehenen Preisverhandlungen mit den Kassen ein "enteignungsgleicher Eingriff ins Privatvermögen", klagt der Vorsitzende des Verbands, Heinz-Günter Wolf.

Und die Koalitionäre lächeln zähneknirschend zu einem Kompromiss, der meilenweit von ihrer jeweiligen Ausgangsposition entfernt ist: Keine Bürgerversicherung für die SPD, keine Kopfpauschale für die Union. Beide Parteien sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet.

Und dennoch kann sich sehen lassen, was nach zähem Ringen als "Eckpunktepapier zur Gesundheitsreform" nun in den parlamentarischen Prozess eingebracht wird. Beide Partner heben die Tatsache hervor, dass der Faktor Arbeit mittel- bis längerfristig entlastet und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts verbessert werden soll. Zwar kommen auf Arbeitnehmer und -geber im kommenden Jahr noch einmal Krankenkassen-Beitragserhöhungen von je einem Viertelprozent zu (was die Beteiligten insgesamt fünf Milliarden Euro kosten wird), danach aber sollen die Beiträge "eingefroren" werden - "mindestens bis 2012", wie CDU-General Ronald Pofalla beteuert.

Gleichzeitig soll die "Kinderversicherung" schrittweise auf Steuerfinanzierung umgestellt, also beitragsfrei werden. Für den SPD-Vorsitzenden Kurt Beck bedeutet dies sogar den "Einstieg in einen Paradigmenwechsel".

Keine Steuererhöhung

Die Union ist stolz darauf, dass sie weitere Steuererhöhungen, wie die SPD sie ins Spiel gebracht hatte, abwehren konnte; dafür musste sie aber die Kröte Beitragserhöhung schlucken, denn es gelang ihr nicht, private Unfälle aus der allgemeinen Krankenversicherung auszugliedern.

So bleibt der Leistungskatalog der Krankenkassen im Kern erhalten; durch kleinere Sparmaßnahmen hofft man, das Kassendefizit im nächsten Jahr um drei Milliarden zu verringern. Weil dies nicht ausreicht, die Finanzlücke zu schließen, müssen die Beiträge um 0,5 Prozentpunkte erhöht werden.

Der Kernpunkt der Reform - und dies ist der eigentliche große Fortschritt - ist der "Gesundheitsfonds". Beiträge und Steuermittel fließen hier zusammen und werden dann an die einzelnen Krankenkassen überwiesen - und zwar pro Kopf: Ob Generaldirektor oder Arbeitsloser - für jeden Kranken das gleiche Geld. Damit wird der Wettbewerb zwischen den Kassen gestärkt, denn die Versicherten können frei wählen und die Kassen bekommen einen zusätzlichen Anreiz, ihre Beiträge zu senken. Gleichzeitig wird die Wirtschaftlichkeit des Systems erhöht, denn Kassen, die unter der festgelegten Pauschale bleiben, können ihren Mitgliedern einen Bonus einräumen.

Für die Union war wichtig, die PVK, die Private Krankenversicherung, vor dem nivellierenden Zugriff zu retten. Dafür musste sie einem "Moratorium" zustimmen: Man muss drei Jahre lang in der gesetzlichen Versicherung bleiben, auch wenn man die Einkommensgrenze überschritten hat, ab der man sich eine private Versicherung aussuchen könnte.

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