Auch die Jordanier protestieren dieser Tage für Reformen. Was genau sie sich darunter vorstellen, hängt unter anderem davon ab, von welcher Seite des Jordans ihre Vorfahren kommen.
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Gemeinsam ist allen Protestierenden in Jordanien, dass sie die Unterstützung des haschemitischen Königshauses suchen. Das ist einer der Gründe, warum dieses standhält mitten im Wirbelsturm, der in der Region wütet.
Die jordanische Bevölkerung wird in "Meds" und "Beds" eingeteilt, in Anspielung auf das weltoffene mediterrane Aussehen der Palästinenser und die beduinischen Stämme, die an traditionellen Werten festhalten. Ein junger Einwohner von Amman klagt, dass "alle in Jordanien immer fragen, woher man kommt". Er überlegt, einen Facebook-Protest dagegen zu starten: "Wir wollen Jordanier sein."
Wenn Jordanier palästinensischer Abstammung über Reformen sprechen, meinen sie meist mehr Meinungsfreiheit, weniger Bürokratie und mehr politisches Gewicht für sich, stellen sie doch ungefähr die Hälfte der jordanischen Bevölkerung. Im Gegensatz dazu bedeuten Reformen für viele East-Banker am Jordan, die Privatisierung zurückzufahren, die sie mit Korruption gleichsetzen, mehr Macht für Armee und Regierung und Beschränkungen palästinensischer Staatsbürgerrechte. Also gab es in den letzten Wochen Proteste junger Reformwilliger, während gleichzeitig pensionierte Militäroffiziere von der East-Bank gegen angebliche Vorteile für die Wirtschaftselite protestierten.
In der Mitte steht König Abdullah II., der sich einmal in diese und einmal in die andere Richtung lehnt. Für Jordaniens Wirtschaftswachstum ist er auf die unternehmerische palästinensische Wirtschaftselite angewiesen, für die Sicherheit des Landes wiederum auf die von beduinischen Stämmen der East-Bank beherrschte Armee. Dieser Balanceakt ermöglicht es dem haschemitischen Königshaus seit rund 90 Jahren, sich an der Macht zu halten, trotz Bürgerkriegen, Mordanschlägen und so manchem Gemetzel.
Vor dem Hintergrund der arabischen Revolution hat nun aber auch König Abdullah II. davon gesprochen, Jordanien in den nächsten drei Jahren in eine wirkliche konstitutionelle Monarchie umzuwandeln - mit ein paar echten politischen Parteien und einem Premier, der vom Parlament gewählt und nicht vom Königshaus bestellt wird.
König Abdullah II. und Königin Rania entsprechen ganz den westlichen Vorstellungen, wie die politische Führung eines arabischen Landes aussehen sollte: Sie sind jung, smart, attraktiv und sprechen perfekt Englisch; sie setzen sich für Frauenrechte und Breitband-Internet ein; sie besuchen internationale Konferenzen wie jene in Davos, um westliche Investitionen an Land zu ziehen.
Aber gerade ihr Erfolg im Westen sorgt zu Hause für Stirnrunzeln. Königin Rania fungiert mittlerweile als Blitzableiter für East-Bank-Kritiker, weil sie ihnen zu laut und unabhängig ist, um eine richtige arabische Königin zu sein. Von manchen wird auch König Abdullah II. als zu westlich kritisiert. Der versuchte in einer Rede, das Chaos an Klagen zu entwirren: "Viel ist behauptet worden. Manches ist wahr, manches ist übertrieben, manches ist unwahr. Von Korruption wird geredet, von Verschwendung und Vetternwirtschaft." Er habe die neue Anti-Korruptions-Kommission beauftragt, die Vorwürfe zu untersuchen.
Jordanien hat Probleme, und König Abdullah versucht, mit heiler Haut davonzukommen. Die Mitte darf er dabei aber nicht verlassen, denn er muss die Balance halten zwischen der alten Garde und den neuen Reformern. Und das ist eine ziemlich heikle Grätsche.
Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".