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Ein Königsbuch für Gottes Wort

Von Carina Sulzer

Wissen

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Als heuer anlässlich der 400. Wiederkehr der Erstausgabe der King James Bibel (KJB) in englischsprachigen Ländern eine Umfrage zum Thema "Meine liebste Bibel" durchgeführt wurde, gab eine deutliche Mehrheit die KJB an. Wenn amerikanische Präsidenten, wie zuletzt Barack Obama, ihren Amts-Eid unter Verwendung dieser Bibel ablegen, wird suggeriert, das Verbindende über das Trennende stellen zu wollen - eine Absicht, die auch der Entstehung der KJB zugrunde lag. Denn mit Blick auf die erbittert geführten Religionsstreitigkeiten seiner Zeit hatte James den Spruch "Gesegnet sind die Friedensstifter" zu seinem Motto gemacht. Aber vermutlich wäre er von der Popularität der von ihm in Auftrag gegebenen und 1611 herausgebrachten Bibel-Version selbst überrascht gewesen.

Davor gab es bereits verschiedene konkurrierende englische Bibel-Übersetzungen: Auf Seiten der Krone zunächst die unter Henry VIII erschienene "Great Bible", später die während der Regentschaft seiner Tochter Elizabeth I von ihren Bischöfen bearbeitete "Bishops’ Bible" .

In beiden sind die Monarchen beim Verteilen der Bibeln ans Volk abgebildet. Diese Bibeln wurden quasi von oben nach unten verteilt, Volksbibeln im Sinne Luthers waren sie trotz der theologischen Nähe der anglikanischen Kirche zum Protestantismus nicht. Das Volk bevorzugte andere Bibeln, etwa die Übersetzung von William Tyndale, der für das "Verbrechen", die Bibel übersetzt zu haben, 1536 hingerichtet wurde. Gemäß seinem Vorbild Luther übersetzte er die Bibel in eine Alltagssprache, die mitunter leichter ins Ohr geht als die Worte, welche die Übersetzer-Teams von King James später fanden. Heißt es etwa im Buch der Richter (5:12) bei Tyndale: "Up up Deborah, up up and sing a song, up Barak", so lautet es in der eher dem gehobenen Tonfall verpflichteten KJB: "(. . .) awake, awake, utter a song: arise, Barak".

Tyrann oder König?

Noch mehr als die verbotene Übersetzung von Tyndale erfreute sich die von englischen Puritanern 1560 in Genf herausgebrachte "Geneva Bible" großer Beliebtheit. Ihr Ton war dezidiert anti-royalistisch, weswegen Elizabeth I auf eine Rückkehr der unter ihrer katholischen Halbschwester "Bloody" Mary vertriebenen Puritaner keinerlei Wert legte. Die Übersetzer der Genfer Bibel hatten nämlich an die vierhundert Mal das Wort "König" mit "Tyrann" übersetzt. Das war untragbar, weshalb sich das verabscheuungswürdige Wort nicht ein einziges Mal in der KJB findet.

Die neueste Ausgabe der alten Bibel.
© © Oxford University Press

James war ein Jahr nach seiner Geburt (1566) zum König ernannt worden und hatte seine Kindheit im protestantischen Haushalt des Earl of Mar verbracht, wo er vom Puritaner George Buchanan erzogen wurde. Prügelstrafen standen dabei auf der Tagesordnung, womit er James den religiösen Puritanismus gründlich verleidete.

Doch auch der Katholizismus schien suspekt: James’ katholische Mutter Mary Stuart spielte beim Mord an seinem Vater eine zwielichtige Rolle. Dass sie danach den mutmaßlichen Mörder, den brutalen Lord Bothwell, ehelichte, dürfte sie ihm auch nicht sympathischer gemacht haben. Lange vor ihrem Tod hatte die kinderlose Elizabeth I Richtung Schottland signalisiert, dass James als ihr Nachfolger in Frage käme. Um sein Einverständnis zu bekunden, sah er sich als junger Mann gezwungen, die Hinrichtung seiner Mutter hinzunehmen, was mitunter als kalter Opportunismus gewertet wurde.

Aber James, der Elizabeth nie persönlich begegnet ist, fühlte sich ihr wohl aufgrund eines ähnlichen Schicksals mehr verbunden als der eigenen Mutter. Hatte diese die Ermordung seines Vaters gebilligt, so war Elizabeths Vater, Henry VIII, verantwortlich für die Hinrichtung ihrer Mutter, Anne Boleyn. Beide wuchsen ohne Eltern auf, beide erlitten Demütigungen, beide erlebten die Religionsstreitigkeiten aus nächster Nähe und gingen auf Distanz zu fundamentalen Positionen.

Als James im Jahr 1603 zum englischen König gekrönt wurde, setzte die Bevölkerung große Erwartungen in ihn. Er hatte kaum die Staatsgrenze überquert, als schon die ersten Antragsteller ihre Anliegen vorbrachten. James ging auf diese ein und berief 1604 die "Hampton Court Conference" ein, um die Streitpunkte zu erörtern. Es war ein Aufeinanderprallen gegensätzlicher Standpunkte: Für die Puritaner war der Glaube eine intellektuelle Angelegenheit, bei der zeremonieller Popanz tunlichst zu vermeiden war. Die Gegenseite sah in der Beziehung zwischen Gott und Mensch ein Mysterium, das nach zeremonieller Weihe verlangte. Die anglikanische Kirche strebte stets nach jenem Kompromiss zwischen protestantischer Sprache und katholischer Zeremonie, für den das 1549 von Thomas Cranmer verfasste "Book of Common Prayer" beispielhaft ist.

Das Übersetzerteam

In Lancelot Andrewes, einem Theologen aus Cambridge, fand James einen ebenso brillanten wie tatkräftigen Unterstützer, der seine Aversion gegen den Puritanismus teilte und mit seinen hervorragenden Kenntnissen in Griechisch, Hebräisch und Aramäisch geradezu prädestiniert war für die Leitung des Übersetzungsunternehmens. Eine zweite wertvolle Stütze fand James in Richard Bancroft, dem Erzbischof von Canterbury. Beide waren Vorsitzende der Hampton Court Conference, zu der auch die gemäßigten Vertreter der Puritaner eingeladen waren. Vertreter radikaler Positionen waren jedoch ausgeschlossen und auch die gemäßigten Puritaner hatten keinen leichten Stand. Dennoch verdankt sich die Anregung zu einer neuen Übersetzung einem Puritaner: John Reynolds, Gelehrter aus Oxford, brachte als Erster den Vorschlag einer neuen Bibel ein, die allein fortan verwendet werden sollte, wobei er sich vermutlich eine Annäherung an die Genfer Bibel wünschte.

Eine einzige Bibel, die nicht nur in England, sondern auch in Schottland Verbreitung finden sollte, war für James, dem Einigkeit ein wichtiges Anliegen war, eine reizvolle Vorstellung. Aber er verbat sich Anmerkungen und Fußnoten, wie sie in der Genfer Bibel zu finden sind. Die Entstehung der sogenannten Reformationsbibeln hatte den biblischen Text mit einer Unzahl an Erläuterungen dermaßen überfrachtet, dass zehnbändige Bibel-Ausgaben keine Seltenheit waren. Damit sollte Schluss sein. Wer sich, wie die fundamentalistischen Presbyterianer, nicht dazu durchringen konnte, die Oberhoheit des Königs in religiösen Fragen zu akzeptieren, hatte dem Jakobinischen England den Rücken zu kehren. Viele taten es noch während der Entstehungszeit der KJB und einige von ihnen landeten 1620 mit der "Mayflower" an der nordamerikanischen Küste.

Die neue Bibel sollte der anglikanischen Staatskirche angemessen sein. Es wurden sechs Teams mit jeweils neun Theologen gebildet, als Quellen wurden vor allem hebräische und griechische Texte herangezogen, auch die Vorgänger-Bibeln fanden Berücksichtigung. Die hohe Anzahl an Übersetzern ist einzigartig in der Geschichte der Bibel-Übersetzungen und es entsprach James’ Vorstellungen von Eintracht, dass diese Bibel das Produkt harmonischer Zusammenarbeit sein sollte.

Jedes Team zeichnete nicht nur für einen bestimmten Bibel-Abschnitt verantwortlich, sondern hatte auch die Ergebnisse der anderen Teams gewissenhaft zu prüfen, um alle Eventualitäten gegenseitig abzuklären, bevor das gemeinsame Ergebnis an den Kronrat weitergereicht wurde, um schließlich James selbst vorgelegt zu werden, der sich selbstverständlich das letzte Wort vorbehielt. Er war es auch, der federführend war in der Ausarbeitung der anzuwendenden Übersetzungsregeln und Durchführungskriterien. Durch sie erfuhr die Hermeneutik wesentliche Impulse, die bis in die Gegenwart, etwa in der "objektiven Hermeneutik" des deutschen Soziologen Ulrich Oevermann, spürbar sind: Wo man sich nicht über die "richtige" Bedeutung eines Wortes einigen konnte, war ein Wort zu wählen, das diese Vieldeutigkeit zum Ausdruck bringt. Anders als Tyndale und die Genfer Kalvinisten, die besonders auf semantische Eindeutigkeit Wert gelegt hatten, wählten die Übersetzer der KJB eher suggestive Begriffe und darin liegt wohl auch der eigentümliche Reiz dieser Bibel begründet.

Zudem war der theaterbegeisterte König kein Freund doktrinärer Sprache. Eine solche wurde schon dadurch vermieden, dass die Übersetzer in religiösen Fragen differierende Ansichten vertraten, damit war innerhalb der von James gesetzten Grenzen ein relatives Spektrum gegeben. Profunde Sachkenntnis war das oberste Auswahlkriterium, die gewählten Männer repräsentierten die intellektuelle Elite der Geistlichkeit.

Poetische Kraft

Wer sich an der klaren, melodischen Sprache Shakespeares erfreuen kann, findet auch Zugang zur KJB, denn ihre idiomatische Diktion entfaltet eine poetische Kraft, die jener von Shakespeares Tragödien spiegelbildlich ähnelt. In "King Lear" und "Hamlet", die in den Entstehungsjahren der KJB häufig aufgeführt wurden, geht es um den damals von vielen empfundenen Widerspruch zwischen autoritären Ansprüchen und individuellem Gewissen. Lear trifft die fatale Entscheidung, sein Königreich aufzuteilen, die KJB war bestrebt, es zu vereinen. Lear geht aller Autorität verlustig, in der KJB ist Gott ein König und der Monarch sein würdiger Stellvertreter. In seinem Bestseller "God’s Secretaries - The Making of the King James Bible" (2003) schreibt Adam Nicolson: "In Lear fällt auseinander, was sich in der King James Bibel zusammenfügt, das eine ein Alptraum der Zersetzung, das andere ein Traum von Ganzheit."

Carina Sulzer, geboren 1962, lebt als freie Publizistin in Wien, mit besonderem Forschungsinteresse an elisabethanischer Dichtung. Sie hält regelmäßig Shakespeare-Kurse auf Englisch an der VHS-Brigittenau ab.