Zum Hauptinhalt springen

Ein Kontrapunkt Freiwilligen-Jahr

Von Renate Kalß

Gastkommentare

Freiwilligenarbeit ist in aller Munde, in den Medien, bei Veranstaltungen. Ein Lob den Freiwilligen! Je intensiver die Beweihräucherung, desto intensiver drängen sich aber einige Fragen auf.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Soll der von höchsten Stellen befohlene Applaus für die Freiwilligenarbeit vielleicht von etwas anderem, weniger Erfreulichem ablenken? Vielleicht davon, dass sich der Staat infolge seiner finanziellen Notlage aus immer mehr (sozialen) Bereichen zurückzieht und für genau diese Bereiche dringend Freiwillige benötigt? Lob und Applaus kosten nichts, belasten kein Budget, es fallen lediglich Reisespesen und sonstige Diäten für Festredner an, wenn hin und wieder bei einschlägigen Veranstaltungen gelobt und applaudiert werden muss.

Aber wäre es die Sache nicht wert, ein wenig hinter die Kulissen zu blicken und von dort auch andere hervorzuholen?

Zum Beispiel jene, die Freiwilligenarbeit erst ermöglichen:

Die Arbeitskollegen des Feuerwehrmanns, die im Betrieb für ihn einspringen, wenn er auf der Stelle alles liegen und stehen lassen muss; sein Chef, der bereit ist, die organisatorische und möglicherweise auch finanzielle Belastung durch eine plötzliche und unvorhergesehene Abwesenheit von vielleicht sogar mehreren Mitarbeitern zu tragen.

Die Ehepartner von Freiwilligen, die - oft nicht ganz freiwillig und daher auch oft nicht ganz ohne Groll - zurückbleiben, die Kinderbetreuung und die Hausarbeit besonders auch an Wochenenden allein bewältigen müssen, wobei ihr Groll meist auch daher kommt, dass mancher Freiwillige wesentlich lieber seine Freiwilligenarbeit leistet, als sich an der oft unbeachteten und unbedankten Familien- und Hausarbeit zu beteiligen.

Die vielen Mütter, Großmütter und Schwiegermütter (oder -väter), die für die Eltern junger Kinder Betreuungspflichten und daneben vielleicht auch noch die eine oder andere Hausarbeit übernehmen und sie dadurch für die Freiwilligenarbeit erst freispielen.

Nicht vergessen werden sollte auch, dass es viele - besonders Frauen - gibt, die Freiwilligenarbeit nicht deshalb nicht leisten, weil sie keine soziale Verantwortung übernehmen wollen, sondern weil sie aus Mangel an freien Kapazitäten und wegen fehlender familiärer Netzwerke solche Tätigkeiten gar nicht übernehmen könnten.

Bedacht werden muss auch, dass die klassische "Freiwilligenarbeit" als unbezahlte außerhäusliche und außerfamiliäre Arbeit definiert ist, sodass alle jene nicht berücksichtigt werden, die Angehörige pflegen, vielleicht mehrere Kinder großziehen oder auf eine andere, weniger spektakuläre Weise ihren Dienst an der Gesellschaft leisten.

Zum Schluss muss auch am Heiligenschein von so manchem Freiwilligen ein wenig gerüttelt werden. Bei jenen nämlich, die ihre Freiwilligenarbeit nicht ganz ohne Hintergedanken leisten, denen sie etwa für ihre berufliche Karriere oder sonst für ein besseres Fortkommen dienlich ist, deren Altruismus sich also bei genauerer Betrachtung durchaus in Grenzen hält.

Machen wir uns doch die Mühe, ein wenig genauer hinzusehen. Jede Leistung, jeder Erfolg hat viele Mütter und Väter. Ihnen allen gebühren Dank und Anerkennung.

Renate Kalß unterrichtet Politische Bildung und Volkswirtschaft an den Berufsbildenden Schulen Kirchdorf an der Krems (OÖ).

Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.