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Ein Körberlgeld für alle Fälle

Von Brigitte Pechar

Politik

Eine automatische Anpassung der Steuerstufen würde Politik aus dem Spiel nehmen.


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Wien. Die kalte Progression - ein Terminus technicus, der umgangssprachlich auch Körberlgeld für den Finanzminister genannt werden könnte. Allein durch die jährlichen Lohnerhöhungen, die die Inflation abgelten sollen, rutschen die Steuerpflichtigen in immer höhere Tarifstufen, beziehungsweise fällt anteilsmäßig ein größerer Prozentsatz ihres Gehalts in die höhere Tarifstufe. Das bringt dem Fiskus nach Schätzungen 500 Millionen Euro pro Jahr.

Die Arbeitnehmer spüren mehr und mehr, wie wenig netto vom Bruttolohn bleibt. Seit dem Jahr 2010 gab es zwar nominell immer Gehaltszuwächse (2010 war es ein Plus von 0,9 Prozent, heuer steigen die Gehälter nominell um 1,9 Prozent), aber real netto (inflationsangepasst nach Abzug von Steuern und Abgaben) bleibt am Ende ein Minus im Börsel: 2010 gab es laut Auskunft des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) Einkommensverluste von 1,1 Prozent, 2011 von 1,8 Prozent, 2012 von 1,1 Prozent, 2013 von 0,3 Prozent, heuer soll der Verlust 0,3 Prozent betragen. Für 2015 ist vorerst ein Plus bei den Real-Nettolöhnen von 0,1 Prozent prognostiziert. Allerdings basierend auf der BIP-Wachstumsprognose vom Juni. Heute, Donnerstag, wird die neue Prognose veröffentlicht.

Schon die Lohnerhöhungen seien "mäßig", den Rest würden dann die hohen Abgaben besorgen. So komme es zu Reallohnverlusten, sagt Wifo-Ökonomin Margit Schratzenstaller der "Wiener Zeitung". Sie sieht in der kalten Progression ein verteilungspolitisches und ein konjunkturpolitisches Problem. Die kalte Progression schlage vorwiegend im unteren und mittleren Einkommensbereich durch. "Wenn Einkommen nicht steigen, sondern sinken, wird weniger Geld ausgegeben." Aber das habe auch beschäftigungswirksame Effekte, weil der Anreiz zum Arbeiten wegfalle. "Es fehlt der Impuls", sagt Schratzenstaller. Das wiederum wirke sich negativ auf die Konjunktur aus.

ÖGB und Arbeiterkammer haben ein Steuermodell vorgeschlagen, das sechs Steuerstufen (derzeit gibt es drei) einzieht, damit die Sprünge geringer ausfallen. Der ÖAAB wiederum will ganz ohne Steuerstufen auskommen und schlägt einen schleifenden Einstieg auf eine höchste Besteuerung von 43,5 Prozent ab 75.000 Euro Jahreseinkommen vor.

Tatsächlich könnten mehr Steuerstufen das Problem mildern, sagt Schratzenstaller. "Das Problem wird umso größer, je größer die Steuerstufen sind."

Der Direktor des Instituts für höhere Studien, Christian Keuschnigg, hat als Rezept gegen die kalte Progression eine automatische Erhöhung der Tarifstufen um die Inflationsrate vorgeschlagen, sodass eine Gehaltserhöhung nicht zu einer höheren Besteuerung führt.

ÖGB und AK fordern wiederum, dass man ähnlich wie bei der Mietenindexierung vorgeht: Wenn die Teuerung seit der letzten Anpassung fünf Prozent erreicht hat, sollte politisch nachjustiert werden. Einen Automatismus lehnen die Arbeitnehmervertreter aber ab, das sei Sache der Politik, sagte etwa AK-Direktor Werner Muhm. Allerdings haben die Arbeitnehmer vorsorglich doch dafür eine Gesetzespassage vorbereitet.

Eine automatische Anpassung, so Schratzenstaller, "wäre tatsächlich eine saubere Lösung". Gegen eine automatische Inflationsanpassung der Tarifgrenzen spricht allerdings, dass damit dem Staat Manövriermasse abhanden kommt. Manövriermasse auch dafür, um etwa eine Budgetkonsolidierung durchzuführen. Am Ende sei es eben so, "dass die Politik die Prioritäten setzen muss", sagt die Ökonomin.

Steuerreform - der Film.