Zum Hauptinhalt springen

Ein Körberlgeld für Frankreichs Bistro-Besitzer

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Europaarchiv

Radikale Senkung der Mehrwertsteuer hat Restaurantbesuch kaum verbilligt. | Paris. Hier und da kostet ein Café au lait nur noch 4,40 statt 5 Euro. Oder ein Mousse au chocolat kann man für 5,70 statt 6,50 Euro schlemmen. Und bei so manchem Menü sank der Preis um ein, zwei Euro, seit Frankreich vor einem Jahr die Mehrwertsteuer für Restaurants von 19,6 auf 5,5 Prozent herabgesenkt hat.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Für die Konsumenten und Touristen, die sich davon eine Revolution im Portemonnaie erhofft haben, ist die Bilanz dennoch enttäuschend. Verschiedenen Berechnungen zufolge sanken die Preise insgesamt zwischen 1,3 und 2,5 Prozent. Abgemacht waren drei Prozent. 2,35 Milliarden Euro ließ sich der Staat die Steuersenkung kosten.

Allerdings wurde kein Gastronom dazu verpflichtet, sie an die Kunden weiterzugeben - es sei denn, er kündigte dies plakativ an. Dann mussten mindestens sieben ausgewählte Speisen oder nicht-alkoholische Getränke auf der Karte um 11,8 Prozent reduziert werden - hier das Fisch-Filet, nicht aber die Rinder-Rippe, dort die Crème brûlée, aber nicht die Crème caramel.

Vor allem die großen Restaurantketten nutzten diese Möglichkeit als Marketing-Strategie, die ihnen im vergangenen Jahr wieder zu Wachstum verhalf. Von den kleineren Bistros führte hingegen nur jedes zweite Schnäppchen auf der Menükarte ein. "Das können wir uns nicht leisten", erklärt ein Pariser Gastwirt, der ungenannt bleiben möchte. "Wir brauchen die Steuersenkung, um überhaupt zu überleben."

Tatsächlich sollte diese etwa 25.000 der 80.000 existenzbedrohten Restaurants des Landes retten. Weil dies gelang, konnten der Unternehmensberatung Gira Conseil zufolge 50.000 Arbeitsplätze gesichert werden. Gingen 2008 noch 4,85 Prozent der französischen Lokale insolvent, waren es 2009 nur 1,35 Prozent.

Seit Jahren hatte die Branche die Steuersenkung gefordert, um den Konsum anzukurbeln und im Konkurrenzkampf mit Schnellimbissen zu bestehen. Im Gegenzug verpflichteten sich Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter in einem "Zukunftsvertrag" mit dem Staat, die Löhne anzuheben, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und binnen zwei Jahren 40.000 neue Stellen zu schaffen. Tatsächlich erhielten die Angestellten zwei weitere Urlaubstage und eine einmalige Prämie, insgesamt gab die Branche eine Milliarde Euro mehr für Löhne aus. "Historisch" nennt Handelsstaatssekretär Hervé Novelli die Schaffung von 21.700 neuen Stellen im ersten Jahr. Die Interpretation der Gewerkschaft "Force Ouvrière" lautet indes anders: Abzüglich der 15.000 neuen Posten, die in der Branche pro Jahr entstehen, wirkt die Zahl weniger gewaltig.

Rechnungshof rügt

Mit der Mehrwertsteuer-Senkung zum 1. Juli 2009 hatte Präsident Nicolas Sarkozy nicht nur sein eigenes Wahlversprechen eingelöst, sondern auch das seines Vorgängers Jacques Chirac. Doch ein Jahr nach ihrer Einführung ist die Maßnahme auch in Frankreich umstritten. Der französische Rechnungshof kritisierte sie als teures Steuergeschenk, 61 Prozent der Franzosen geben ihm in Umfragen recht. Und für den Kaffeetrinker auf den Champs-Élysées in Paris oder an der Strandpromenade von Nizza wird der Frankreich-Urlaub auch weiterhin eine Belastung fürs Budget bleiben.