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Ein Körperprotein gegen Tumorzellen

Von Wolfgang Kappler

Wissen

Erstmals testen Mediziner als Mittel zur Bekämpfung von Krebs ein reines und unverändertes Eiweiß, das der menschliche Körper selbst produziert: Histon. Am Universitätsklinikum Homburg haben die beiden Leukämie-Experten Prof. Michael Pfreundschuh und Prof. Christoph Renner im Rahmen einer weltweit ersten Studie sieben ältere Blutkrebs-Patienten mit gentechnisch hergestelltem Histon H1 behandelt, bei denen herkömmliche Behandlungen nicht angeschlagen haben und für die eine belastende Chemotherapie nicht mehr in Frage kam. Bereits bei niedriger Dosierung zeigte sich bei zwei der Patienten ein Rückgang der Leukämie.


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Die Histone durchlöchern die Tumorzellen, die daraufhin quasi "auslaufen". Die Behandlung sei von allen Patienten gut vertragen worden, schwerwiegende Nebenwirkungen seien nicht aufgetreten, so die Mediziner. "Histone stellen ein stammesgeschichtlich sehr altes, grundlegendes Abwehrsystem des Körpers dar", erklärt der Saarbrücker Biochemiker Michael Zeppezauer. Dank seiner Forschungsleistung weiß man heute, dass das Protein weitaus mehr ist als das "Garnröllchen" im Zellkern, auf dem das Erbmolekül, die DNA, aufgerollt ist.

Bereits vor 20 Jahren fand Zeppezauer Histone auch außerhalb von Zellkernen. Überrascht war die Fachwelt schließlich, als der Biochemie-Professor Histone auch im Blut nachwies. Hier machen die Moleküle Jagd auf Krankheitserreger und Tumorzellen. "Histone können zwischen gesunden und entarteten Zellen unterscheiden, weil viele Tumorzellen abnorme Strukturen auf ihrer Zellmembran ausbilden", erklärt Zeppezauer. Diese Strukturen würden von den Histonen gebunden, was letztlich zum Auflockern der Außenhülle führe.

Wirksamer und ungiftig

Vor allem das Histon H1 erwies sich für den klinischen Einsatz als tauglich. Im Vergleich zu unterschiedlichen Chemotherapien tötet H1 Krebszellen weitaus effizienter ab und zwar bereits in geringen Dosierungen. Daneben ist H1 für den Organismus mehr als tausend Mal ungiftiger als die bekannten Krebsmedikamente wie beispielsweise Taxol. H1 lässt darüber hinaus die blutbildenden Zellen in Ruhe, wird vom Körper nicht als fremd erkannt, so dass Abwehrreaktionen nahezu ausgeschlossen sind, und es lässt sich gentechnisch in Coli-Bakterien in hoher Reinheit herstellen.

Die Wissenschaftler um Zeppezauer haben inzwischen 40 Patente angemeldet und sind sicher, einen körpereigenen Wirkstoff gefunden zu haben, der nicht nur als Basis für neue Medikamente gegen Krebs sondern auch für Arzneien gegen Infektionskrankheiten und als Marker in der Krankheitsdiagnostik dienen könnte. Denn Histone durchlöchern nicht nur Krebszellen, sondern greifen auch Pilze und Bakterien an.

"Neben dem Einsatz der Histone gegen Blutkrebs sehen wir weitere Anwendungsmöglichkeiten bei Brust-, Haut- oder Prostata-Krebs, aber auch bei Blutvergiftung und Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis oder systemischem Lupus Erythermatodes", ist Forschungsleiter Prof. Reiner Class optimistisch und weist auf einen unschätzbaren Vorteil des Verfahrens hin: "Histon-Proteine werden in ihrer Reinform verabreicht. Das erspart die Entwicklung von komplizierten Zwischenlösungen auf der Basis von Antikörpern, in deren Schlepptau Wirkstoffe zu kranken Zellen geführt werden müssen".

Dosisfindungsstudie

Unterdessen werten die Krebsexperten am Uniklinikum Homburg die Daten der ersten Blutkrebs-Behandlungen aus. Renner: "Es handelt sich um eine so genannte Dosisfindungsstudie. Nachdem wir mit einer niedrigen Wirkstoffkonzentration begonnen haben und statt Nebenwirkungen positive Effekte gesehen haben, werden nun bei weiteren drei Patienten Behandlungen mit höheren Dosierungen durchgeführt."

Das heißt, die Konzentrationen werden in verschiedenen Patientengruppen solange erhöht, bis sich Nebenwirkungen zeigen. Die vorherige Dosierung wird dann als optimal festgelegt. Die Wissenschaftler rechnen damit, dass dies in zwölf Monaten der Fall sein wird. Dann sollen auch die Daten über die optimale Behandlungsdauer feststehen.