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Ein Krieg, der niemanden verschont

Von Michael Schmölzer

Politik

Im Jemen tobt ein blutiger Konflikt, unter den Opfern sind immer öfter Kinder.


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Sanaa/London. Der Bürgerkrieg im Jemen trifft alle, er macht vor den Schwächsten, den Kindern, nicht halt. Ein am Dienstag veröffentlichter Bericht der Unicef zeigt das Ausmaß der Tragödie. Hunderte Minderjährige wurden allein ab März getötet oder schwer verletzt. 80 Prozent der insgesamt 21 Millionen Jemeniten benötigen humanitäre Hilfe, zwei Millionen laufen Gefahr, von den bereits grassierenden Hungersnöten heimgesucht zu werden.

Zuletzt breitete sich im Jemen ein Phänomen aus, das man vor allem aus Afrika kennt. Die Kriegsparteien setzen Kinder als Soldaten ein. Die schiitischen Rebellen ebenso wie die Milizen, die auf Seiten der Regierung kämpfen. Laut dem UN-Kinderhilfswerk sollen es 377 sein, Tendenz steigend. Die Jungen lassen sich aus purer Not rekrutieren, um ihre Familien finanziell unterstützen zu können. "Kinder tragen die Hauptlast eines Konflikts (. . .) bei dem es keinerlei Anzeichen für eine Lösung gibt", resümiert die UN-Kinderhilfe. Und: "Der Konflikt ist vor allem eine Tragödie für die jemenitischen Kinder (. . .), die von Bomben und Gewehrkugeln getötet werden. Die, die überleben, sind von Krankheit und Mangelernährung bedroht."

Ölscheichs mischen mit

An den Kämpfen beteiligt ist eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, die das Vordringen der vom Iran unterstützten schiitischen Houthi-Rebellen verhindern will. Die Saudis setzen rund um die Uhr Kampfjets ein, die auch zivile Ziele bombardieren - und enorme Schäden anrichten. Oft werden Märkte oder Versorgungstransporte getroffen. Zivilisten aushungern zu lassen könne als "Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit" eingestuft werden, warnt die UNO. Dass sich die saudische Führung demnächst vor einem Tribunal wiederfindet, ist aber unwahrscheinlich.

Die Jemeniten sind gezwungen, ihr Land zu verlassen. 1,3 Millionen Menschen sind schon geflohen, es ist eine Frage der Zeit, bis sie an den Toren Europas um Einlass bitten. Viele suchen derzeit ihr Heil in so unsicheren Ländern wie Somalia und Eritrea. Medizinische Versorgung, die schon vor dem Krieg extrem schlecht war, existiert im Jemen kaum noch, 900 Hilfseinrichtungen mussten geschlossen werden.

Es wird eine Masern-Epidemie erwartet, 2,5 Millionen Kinder unter dem Alter von 15 Jahren sind von einer Ansteckung bedroht. Schulunterricht ist Mangelware. Neben Unicef schlägt das Rote Kreuz Alarm: Keine Familie werde von dem Konflikt verschont, sagt der Chef der Hilfsorganisation, Peter Maurer. Er war zuletzt selbst im Jemen, um sich ein Bild vom Ausmaß der Katastrophe zu machen.

Auch Amnesty schlägt Alarm. Die Bevölkerung im Südjemen lebe unter der ständigen Bedrohung durch die Kämpfe am Boden und die Angriffe der von Saudi-Arabien angeführten Militärallianz aus der Luft, heißt es hier. Durch die Städte Taiz und Aden ziehe sich eine "Spur des Todes und der Zerstörung". So seien bei acht Bombardements der Militärkoalition mehr als 140 Zivilisten getötet worden, darunter viele Kinder und Frauen. Die Houthis und die mit ihnen verfeindeten Kämpfer hätten sich wiederum in Wohngebieten verschanzt und von dort aus Angriffe gestartet. Bei einem einzigen derartigen Angriff habe es 140 Tote gegeben. Amnesty fordert eine Untersuchung durch die UNO, sonst sei klar, dass sich Derartiges wiederholen werde.

Weizen und Drohnen

Internationale Hilfslieferungen kommen, aber sie fließen spärlich: Die USA, die im Jemen selbst Krieg gegen die Al-Kaida führen, schicken jetzt neben todbringenden Drohnen auch Getreide. 35.800 Tonnen Weizen im Wert von 21 Millionen Dollar (19,15 Millionen Euro) sollen es sein, teilt die US-Behörde für Internationale Entwicklung mit. Nach der Verarbeitung in Mehl reiche das aus, um mehr als eine Million Menschen damit zwei Monate lang versorgen zu können. Verteilt werden soll es durch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.

Die EU steht einmal mehr nicht in der ersten Reihe, wenn es um Hilfe geht. In Brüssel wurden zusätzliche Mittel freigemacht - 12 Millionen Euro -, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Der UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien beklagt die Untätigkeit der reichen Industrieländer. Von den geforderten 1,6 Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro) seien erst 15 Prozent, also 241 Millionen Dollar, eingegangen. Ein von den Hilfsorganisationen aufgestellter Plan, um innerhalb weniger Tage drei Millionen Menschen mit dem Notwendigsten zu versorgen, könne nur während einer Waffenruhe umgesetzt werden, sagt O’ Brian. Und von einer Waffenruhe kann keine Rede sein.

Gelöst werden kann der Konflikt nur auf politischer Ebene. Der Krieg hat zwar interne Wurzeln, wird aber von der Rivalität zwischen dem Iran und den Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, angeheizt. Insbesondere Riad fühlt sich vom Vormarsch der vom Iran militärisch und finanziell unterstützen Houthi-Rebellen bedroht und hat deshalb direkt eingegriffen. Die Saudis schicken neben Militärberatern auch Panzer und Truppentransporter an die Armee. Man will den Einfluss des Iran, den man als Rivalen fürchtet, an der eigenen Südgrenze zurückdrängen. Nach der Einigung im Atomstreit möchte der Iran angeblich auch seine Differenzen mit den Saudis ausräumen.

Im September soll es eine erste Verhandlungsrunde mit den Golfstaaten geben. Dass die Regionalmächte bald an einem Strang ziehen, die Kämpfe im Jemen und das Leid der Zivilbevölkerung aufhören, scheint derzeit unwahrscheinlich.

Unicef-Bericht: Yemen Childhood Under Threat (PDF, Englisch)