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Ein Krieg ohne Ende

Von Werner Hörtner

Politik

Die Aufkündigung des Friedensprozesses in Kolumbien verschärft den Dauerkonflikt, der mit militärischen Mitteln unlösbar ist. Doch die zu seiner Lösung notwendigen sozialen Reformen wurden von der Regierung nicht in Angriff genommen. Stattdessen holte sie US-Militärs ins Land, die unter dem Schlagwort "Drogenbekämpfung" im Kampf gegen die Guerilla halfen, die selbst außer ihrer Verhandlungsbereitschaft wenig zum Friedensprozess beitrug.


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Als Kolumbiens Staats- und Regierungschef Andrés Pastrana am Abend des 20. Februar über Radio und Fernsehen ankündigte, der Friedensprozess habe sein Ende gefunden, der "Krug sei voll", und der Öffentlichkeit ankündigte, ab Mitternacht werden über 80 "strategische Punkte" in der so genannten "Entspannungszone" bombardiert, war ihm der Beifall der meisten Kolumbianer sicher. Zu groß war die Verzweiflung einer Bevölkerung, deren Wille für eine friedliche Lösung des Bürgerkrieges nach 37 Monaten eines Friedensprozesses sich immer wieder frustriert sah. Auch wenn Präsident Pastranas Amtsführung vom Großteil der kolumbianischen Bevölkerung als katastrophal bewertet wird: Die harte Hand, die er nun gegenüber der Guerrilla bewies, fand allgemeine Zustimmung. Eine Tatsache, die den "Revolutionären Streitkräften Kolumbiens" (FARC), dem Verhandlungspartner in dem langwierigen und letztlich ergebnislosen Friedensprozess, zu denken geben müsste.

Andrés Pastrana gewann vor vier Jahren die Wahlen mit dem Versprechen, dem bereits über vier Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg durch Friedensverhandlungen mit den Aufständischen ein Ende zu setzen. Und knapp nach seinem Wahlsieg traf er sich persönlich mit Manuel Marulanda, dem Oberkommandierenden der FARC, um die Modalitäten dieses Verhandlungsprozesses festzulegen - ein bis dato in der kolumbianischen Geschichte einmaliges, ja undenkbares Ereignis. Ein ganzes Land schöpfte Hoffnung.

1221 Tage nach der offiziellen Aufnahme der Friedensgespräche gesteht derselbe Präsident ein, man könne ihm vorwerfen, er sei naiv gewesen, blind und taub, die Guerilla habe ihn betrogen, sie verstehe keine andere Sprache als die der Gewalt. Die nationale und auch internationale Öffentlichkeit applaudiert, auch wenn aus Europa mahnende Stimmen kommen, es gebe doch keine andere Möglichkeit als die einer politischen Lösung. Alle stimmen darin überein, Andrés Pastrana habe mit der Verkündigung des totalen Krieges gegen die FARC einen legitimen Akt der Selbstverteidigung gesetzt. Die "Revolutionären Streitkräfte" hatten es im Lauf dieser drei Jahre geschafft, auch jene Länder, die den sozialen Forderungen der Linksguerilla durchaus mit Sympathie gegenüberstanden, vor den Kopf zu stoßen. Noch im Jänner hatte die aus zehn Staaten bestehende "Gruppe der Freunde des Friedensprozesses" in einer Gewaltanstrengung dem verfahrenen Verhandlungsprozess neues Leben eingehaucht und sogar den Abschluss eines Waffenstillstandes für Anfang April vereinbart. Doch statt einer Reduzierung der Kampfhandlungen waren die bewaffneten Auseinandersetzungen beiderseits eskaliert, bis hin zu jenem 20. Februar, als die FARC im Süden des Landes ein Flugzeug kidnappten und den Abgeordneten Gechem Turbay - Mitglied der parlamentarischen Friedenskommission - entführten. Und Pastrana am Abend desselben Tages das offizielle Aus für den Friedensprozess verkündete.

Der falsche Ansatz?

Dieser Prozess sei von Anfang an falsch konzipiert gewesen, sagen im Nachhinein einige Beobachter. Friedensverhandlungen inmitten andauernder gewaltsamer Auseinandersetzungen könnten zu keinem positiven Ergebnis führen, die Verhandlungen hätten im Ausland durchgeführt werden sollen, beide Konfliktparteien hätten durch konkrete Maßnahmen ihren Friedenswillen bekunden und ein konstruktives Klima des Vertrauens schaffen müssen. Wobei zumindest letzter Einwand sicherlich stimmt. Hier ist beiden Seiten ein historisches Versäumnis vorzuwerfen. Der Frieden, den die Vertreter der Regierung und der Guerilla immer wieder heraufbeschworen, war eine Lösung des Konflikts nach dem eigenen Geschmack. Und die Auseinandersetzungen eskalierten. Fand der Konflikt zu Beginn von Pastranas Amtsführung zehn Todesopfer täglich, so hatte sich diese Zahl während den drei Jahren "Friedensprozess" verdoppelt, und knapp tausend Personen täglich mussten in dieser Zeit von ihrem Wohnsitz flüchten.

Schuld haben beide

Trotz zahlreicher Berichte von Menschenrechtsorganisationen, und selbst des US-Außenministeriums, die der kolumbianischen Regierung schwerste Menschenrechtsverstöße und den mörderischen Paramilitärs engste Zusammenarbeit mit der staatlichen Armee vorwerfen, ist es - nicht zuletzt auch unter dem Eindruck des 11. September - Mode geworden, der Guerilla die Alleinschuld am Scheitern des Friedensprozesses zuzuordnen. Zweifellos ist die Liste der Verstöße der FARC gegen das Internationale Humanitäre Menschenrecht (das in Bürgerkriegssituationen ein Mindestmaß von Menschenrechtsstandards vorsieht) lang und voller schwerwiegender Vergehen: massenweise Entführungen zur Erpressung von Lösegeld, Rekrutierung von Minderjährigen, Ermordung wehrloser Zivilisten. Doch auf Regierungsseite fand der deklarierte rhetorische Friedenswille noch viel weniger eine Entsprechung in konkreten Handlungen.

Die Chance für Hardliner

"Es kann keinen Friedensprozess geben, wenn die Regierung mit ihren Gesetzen die rechtliche und ökonomische Lage der Bevölkerung immer weiter verschlechtert", versicherte ein enger Mitarbeiter von Horacio Serpa dem Autor dieses Berichts. Serpa ist der Kandidat der Liberalen Partei bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Mai. Lange Zeit in den Meinungsumfragen führend, hat er den ersten Platz nunmehr an Alvaro Vélez Uribe abgeben müssen. Der ehemalige Gouverneur des wichtigen Departements Antioquia kommt ebenfalls von der Liberalen Partei, tritt aber als "Unabhängiger" an. Vélez Uribe, dem enge Beziehungen zu den Paramilitärs und auch zum Drogenhandel vorgeworfen werden, geht als Kandidat der "Law & Order"-Fraktion, als Mann der starken Hand ins Rennen, und hat gerade in Zeiten der politischen Polarisierung und Perspektivelosigkeit beste Chancen.

Doch nicht nur die neuen Gesetze im Bereich des Arbeits- und Sozialrechtes verschlechterten das Klima für eine Friedenslösung zusehends. Der soziale Konflikt, der zur Entstehung bewaffneter Rebellenbewegungen in den 60er- und 70er-Jahren führte, dauert mit voller Schärfe an. "Der Konflikt, den wir heute erleben, ist schon fünf Jahrzehnte alt. Da dieses Problem nie gelöst wurde, ist es nicht leicht, in sehr kurzer Zeit wesentliche strukturelle Probleme zu lösen", erklärte Raul Reyes, Sprecher der FARC und Mitglied des Oberkommandos, als wesentlichstes Problem des Friedensprozesses. In der Amtszeit Pastranas wurden so viele Gewerkschaftsführer ermordet wie noch nie, und die Zahl der Paramilitärs, die nach wie vor für die meisten Morde aus politischen Motiven verantwortlich sind, hat sich verdoppelt.

Alfonso Cano, der Ideologe der marxistischen Guerillabewegung, zeigte sich dem Autor gegenüber in San Vicente del Caguán, dem Hauptort der FARC-Enklave im Süden des Landes, wo drei Jahre lang die Friedensverhandlungen stattfanden, weder beeindruckt von der Möglichkeit des Wahlsieges von Vélez Uribe noch von der Rückkehr zum totalen Krieg: "Vélez Uribe soll der Kandidat der starken Hand sein? Schauen Sie: Wie keine frühere Regierung hat die jetzige, die anscheinend der Guerilla so viele Konzessionen machte, das Militärbudget erhöht, die Zahl der Soldaten fast verdoppelt, die Gesetzgebung verschärft. All das hat die Konfrontation verschärft. Wobei ich vom 'Plan Colombia' gar nicht reden will". Die Frage, ob die FARC denn nicht ein Wiederaufflammen des totalen Krieges fürchten, ruft bei Cano nur mildes Lächeln hervor. "Vor dem Friedensprozess war ich mit meiner Truppe in dieser Gegend, und wir haben die fast täglichen Bombardements gut überstanden. Wir haben keine Angst, wenn sie wieder mit den Bomben kommen."

Big Brother mischt mit

Der noch unter dem ehemligen US-Präsidenten Clinton geschnürte "Plan Colombia" ist ein 1,3 Mrd. Dollar teures Programm, das zum überwiegenden Teil der "Drogenbekämpfung" gewidmet ist. Die FARC-Führer haben darin von Anfang an eine Intervention Washingtons zur Aufständischenbekämpfung gesehen. Was in mehrfacher Hinsicht stimmt. Im Süden des Landes kontrolliert die Guerilla den Großteil der Drogenproduktion, weshalb sich die Drogenbekämpfung zwangsläufig auch gegen sie richtet. Und die jüngsten Bombardements von - verlassenen - FARC-Stellungen unter Einsatz von Black Hawk und anderen US-Hubschraubern haben gezeigt, dass die Ressourcen aus dem "Plan Colombia" nunmehr ganz offen im Krieg gegen die Guerilla eingesetzt werden. Und nicht nur die Kriegsmaschinerie. Da ein Gesetz den Einsatz von US-Militärs in Kolumbien auf 300 Mann beschränkt, ist das Pentagon dazu übergegangen, über private Firmen wie die DynCorp Söldnertruppen anzuheuern, die nunmehr militärische Aufgaben übernehmen und zum Beispiel die Flugzeuge steuern, von denen aus Koka-Plantagen mit Pflanzengift besprüht werden. Und im Kongress wird derzeit eine zusätzliche Militärhilfe für Kolumbien für 2003 in Höhe von über 500 Mill. Dollar diskutiert.

Der kalkulierte Krieg

Eine Meinungsumfrage nach dem 20. Februar ergab, dass 85 Prozent der Bevölkerung Kolumbiens hinter der Aufkündigung des Friedensprozesses durch Pastrana stehen. Doch wieso erfolgte dieser Schritt nun, wo laut der Vereinbarung vom Vormonat am 7. April der Waffenstillstand unterzeichnet hätte werden sollen? Politische Beobachter schreiben den Parlamentswahlen vom März und den Präsidentschaftswahlen vom Mai mit dem voraussichtlichen Sieg des Hardliners Uribe sowie dem Druck Washingtons eine tragende Rolle zu.

Die FARC hatten nach dem Abkommen vom 21. Jänner ihre militärischen Aktionen verstärkt und keinerlei Gesten in Richtung nationale Versöhnung gesetzt. Die Offensiven der in Pastranas Amtszeit von den USA stark aufgerüsteten kolumbianischen Militärs hatten im letzten Halbjahr keine wesentlichen Erfolge gezeitigt - im Gegenteil, die Armee zeigte sich unfähig, die zahlreichen Attentate gegen Infrastruktureinrichtungen zu verhindern. Viele Beobachter meinen, die Entführung des Senators am 20. Februar seien für Pastrana ein willkommener Anlass gewesen, die politische Initiative wieder an sich zu reißen. Doch wie soll es nun weitergehen in einem Land mit einer Guerilla, die mit fast 100 Fronten und etwa 17.000 KämpferInnen im ganzen Land präsent ist und über Jahrzehnte lange Erfahrung im Untergrundkampf verfügt?

"Die billige Lösung kommt uns teuer zu stehen", schreibt der bekannteste politische Kommentator Kolumbiens, Antonio Caballero, in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitschrift "Semana", und weist darauf hin, dass im letzten halben Jahrhundert alle 14 Präsidenten des Landes der Guerilla den Krieg erklärt haben. Erfolglos. Die FARC sind in dieser Zeit von einem kleinen bäuerlichen Widerstandsnest zur mächstigsten Guerilla der westlichen Hemisphäre gewachsen. Die Bombardierung von über 80 "strategischen Punkten" in der früheren Entspannunszone im Caguán haben ihr militärisch überhaupt keinen Schaden zugefügt. In der Woche nach dem 20. Februar haben die FARC zahlreiche Strommasten in die Luft gejagt und die Energieversorgung großer Landesteile lahmgelegt. Eine militärische Lösung des endlosen Bürgerkriegs wird Pastrana wohl genau so wenig gelingen wie seinen Amtsvorgängern. Eine Verschärfung des Kriegs auf lange Zeit ist vorhersehbar, bis wieder einmal ein Präsident Friedensverhandlungen mit der Guerilla aufnimmt. Daran wird auch die fortschreitende Aufrüstung der kolumbianischen Armee mit US-amerikanischer Hilfe nichts ändern.