Mit dem Doppelanschlag auf die Moskauer U-Bahn haben die Nordkaukasus-Rebellen ein blutiges Lebenszeichen von sich gegeben - und damit die Moskauer Regierung Lügen gestraft, die gerne behauptet, die Lage in den russischen Teilrepubliken im Süden unter Kontrolle zu haben.
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Warum der Anschlag gerade jetzt erfolgte, darüber gibt es verschiedene Mutmaßungen. Eine ist, dass damit der Tod zweier hochrangiger Rebellenführer gerächt wurde, die kürzlich von russischen Spezialtruppen erschossen worden waren. Eine andere Version lautet, dass die Rebellenführung unter dem Tschetschenen Dokku Umarow einfach ihre Ankündigung vom Vorjahr wahrmacht, den Nordkaukasus-Konflikt auch ins russische Kernland zu tragen. Dafür spricht, dass sich eine Gruppe im Namen des "Kaukasus-Emirats", wie sich der islamische Widerstand im Nordkaukasus nennt, Ende November auch zu dem Zug-Attentat bei Moskau bekannt hatte, bei dem 26 Menschen starben. Dies sei die "Rache gegen Moskaus blutige Besatzungspolitik", hieß es damals in dem Bekennerschreiben.
Sollte Umarow, der die Urheberschaft für das Blutbad auf den "Newski Express" nie bestätigt hatte, nun tatsächlich grünes Licht für Anschläge auf unschuldige Zivilisten gegeben haben, käme dies einem radikalen Schwenk seiner bisherigen Kampfstrategie gleich. Denn bisher zielten die Angriffe seiner Jihadis ausschließlich auf russische und lokale Sicherheitskräfte und deren staatliche Einrichtungen im Kampfgebiet, dem nördlichen Kaukasus. In Erinnerung blieb vor allem der spektakuläre Anschlag auf das Polizeihauptquartier in der inguschetischen Stadt Nasran oder das versuchte Selbstmordattentat auf den Präsidenten der Republik, Junus-Bek Jewkurow im Sommer 2009.
Zwar kam es ab 2000 nach Beginn des zweiten Tschetschenien-Krieges immer wieder auch zu Anschlägen außerhalb der Konfliktregion, doch gehen diese auf das Konto autarker Guerillagruppen. Besonders brutal agierte dabei der tschetschenische Kriegsherr Shamil Basajew, den der damalige Untergrundführer Aslan Maschadow deshalb vor ein Kriegsgericht stellen wollte. 2006 wurde Basajew von russischen Einheiten getötet.
Aug um Aug?
Mit der bisherigen Beschränkung der Anschläge auf Sicherheitskräfte unterschied sich die Taktik des für die Unabhängigkeit von Russland kämpfenden Rebellenführers Umarow von jener des Staatsapparates, dessen "Kampf gegen den Terror" vor allem gegen die Zivilbevölkerung und die -gesellschaft geführt wird. Menschenrechtler werden ermordet, Familienangehörige von Widerstandskämpfern verschwinden spurlos, Kritiker des Systems werden zu Tode gefoltert. Mit dem Ergebnis, dass der bewaffnete Widerstand in den Bergen immer stärkeren Zulauf erhält.
Der Nordkaukasus ist mittlerweile "zur größten innenpolitischen Herausforderung" geworden, warnte kürzlich Russlands Präsident Dmitri Medwedew. Anders als Ministerpräsident Wladimir Putin, der nach dem gestrigen Anschlag wieder einmal verkündete, "die Terroristen werden zerstört werden", scheint der Kremlchef zu wissen, dass dieser Krieg militärisch nicht zu gewinnen ist. Um die Lage zu stabilisieren, kündigte er eine ökonomische Offensive an - und ernannte dazu eigens einen Gouverneur mit Wirtschaftserfahrung. Der soll vor allem für Investitionen im Nordkaukasus werben, um neue Jobs zu schaffen; in manchen Regionen sind mehr als 50 Prozent der Einwohner arbeitslos. Doch russische Menschenrechtler bezweifeln, dass dies zum Erfolg führt. Ohne eine politische Lösung des Konflikts wird es keine Stabilität geben und deshalb auch keine Investoren, sind sie überzeugt. Von einem Dialog mit den Rebellen will die russische Führung aber nichts wissen - und auch auf Rebellenseite ist die Bereitschaft zu Verhandlungen inzwischen gering.
Der letzte Rebellenführer, der dazu tatsächlich bereit war, war der demokratisch gewählte, säkular-orientierte Präsident Tschetscheniens, Aslan Maschadow - ihn ließ der damalige Kremlführer Putin allerdings liquidieren, kurz bevor die Gespräche hätten beginnen sollen. Das war vor fünf Jahren.
Siehe auch:Terror im Herzen von Moskau