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Mindestens 20 Tote bei Beschuss des Hilfskonvois von UNO und Rotem Halbmond in Syrien - Moskau will nicht schuld sein.
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Erbil. Es waren dramatische Bilder, die am frühen Dienstagmorgen über die Fernsehschirme flimmerten. Ein Fahrer eines aus mindestens 18 Lkws bestehenden Hilfskonvois für Aleppo stand vor brennenden Autos, lodernden Häusern und einem Lebensmittellager in Flammen. Mitglieder von UNO und Rotem Halbmond waren dabei, Nahrung für Hilfsbedürftige in Syriens größter Stadt aufzuladen, als die Attacke passierte. Insgesamt fünf Luftangriffe sollen auf die Hilfsfahrzeuge geflogen worden sein. Augenzeugen berichteten von Helikoptern, die mehrere Fassbomben auf die Fahrzeuge abgeworfen hätten. Laut dem Roten Kreuz kamen in Urum al-Kubra, wo sich der Konvoi befand, mindestens 20 Personen ums Leben. Unter ihnen Omar Barakat, der lokale Direktor des Roten Halbmondes. Die UNO spricht von Abscheu und Fassungslosigkeit, ihr Sonderbotschafter gar von einem "Kriegsverbrechen", sollte sich der Verdacht bewahrheiten, der Angriff auf den Konvoi sei vom russischen oder syrischen Militär geflogen wurde - was Moskau und Damaskus freilich dementierten.
Der Konvoi war das Ergebnis eines langen Prozesses von Genehmigungen und Vorbereitungen, um eingekesselten Zivilisten zu helfen", sagte der UN-Syrien-Beauftragte Staffan de Mistura in einer ersten Stellungnahme. Tagelang war der Hilfskonvoi an der türkischsyrichen Grenze festgesessen, am Montagnachmittag hatte das Regime von Bashar al-Assad der UNO schließlich grünes Licht gegeben. Die Lebensmittel sollten in umliegende Dörfer von Aleppo gebracht werden, die unter der Kontrolle der Rebellen sind. Etwa 78.000 Menschen würden dort dringend Hilfe brauchen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Mitglieder von Hilfsorganisationen in Syrien angegriffen werden. Von Anfang an forderte der inzwischen mehr als fünf Jahre dauernde Bürgerkrieg auch Opfer unter den Helfern. Sie wurden gekidnappt, gegen Lösegeld wieder frei gelassen oder getötet, wenn kein Geld bezahlt wurde. Krankenhäuser und Kliniken wurden angegriffen, Patienten und Ärzte getötet, Büros und Wohnhäuser von internationalen Organisationen zerbombt, einzelne Fahrzeuge in Brand gesetzt.
Dass jetzt ein ganzer Konvoi angegriffen wurde, ist jedoch neu und eröffnet eine weitere Dimension der Gewaltspirale. Hilfslieferungen in belagerte Kampfgebiete zu bringen war Hauptziel der Vereinbarungen einer Feuerpause, die die USA und Russland getroffen haben. Nach sieben Tagen sollte eigentlich die nächste Stufe der Vereinbarung umgesetzt werden: Die USA und Russland hatten beschlossen, dann gemeinsam gegen Terrorgruppen wie den "Islamischen Staat" oder Fatah-al-Scham, die frühere Al-Nusra-Front, vorzugehen. Am Wochenende kam es jedoch zu neuen Spannungen zwischen Washington und Moskau, nachdem bei einem US-geführten Luftangriff zahlreiche Soldaten der syrischen Armee getötet worden waren. Washington sprach später von einem Versehen. Doch anscheinend war diese Erklärung nicht sehr glaubhaft. Einige mutmaßen, bei dem Angriff auf den UN-Konvoi handele es sich daher um einen Vergeltungsakt.
Verhärtete Fronten
"Es gibt keine Erklärung und keine Entschuldigung, keinen Grund und keine Rechtfertigung dafür, Krieg gegen tapfere und selbstlose humanitäre Helfer zu führen", sagte ein UN-Vertreter vor Ort. In New York berieten die Außenminister der Syrien-Kontaktgruppe am Rande der UN-Generalversammlung über die Aufkündigung der Waffenruhe seitens der syrischen Armee.
Für den Bruch der Feuerpause machen sich syrische Regierungstruppen und Rebellen gegenseitig verantwortlich. Ein Knackpunkt ist auch die unterschiedliche Einschätzung zwischen Russland und den USA, welche Rebellen als moderat und welche als terroristisch anzusehen sind. Denn obwohl die stärkste bewaffnete Miliz, Al-Nusra-Front, sich inzwischen von Al-Kaida losgesagt und sich in Fatah-al-Scham-Front umbenannt hat, bleibt sie für die Russen eine Terrororganisation. Die Amerikaner stellt das vor ein Problem: Die Miliz kooperiert in vielen Regionen eng mit anderen Milizen, die als Partner der USA gelten - darunter mit der zweitstärksten Rebellenorganisation Ahrar ash-Sham. Während die Russen schon in Genf darauf drängten, die Gruppe von den Verhandlungen auszuschließen, sehen die Amerikaner sie als Verbündete im Kampf gegen den IS. Eine Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) nennt die Organisation die "syrischen Taliban" - in Anlehnung an die Situation in Afghanistan, wo die Amerikaner radikal islamische Gruppierungen gegen die damalige Sowjetunion unterstützten.
"Ahrar ash-Scham hat sich seit 2012 als eine der stärksten Gruppierungen des syrischen Aufstands etabliert", schreibt Nahost-Experte Guido Steinberg in der SWP-Studie. Gemeinsam mit der Nusra-Front nahm sie im Frühjahr 2015 Idlib ein, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in Syriens Norden. Die Geländegewinne der islamistischen Allianz im Nordwesten Syriens seien dem Regime so gefährlich geworden, dass im April 2015 Moskau militärisch mit der Stationierung von Truppen und Ende September mit Luftangriffen auf die Rebellen begann. Die Ahrar ash-Sham will das Assad-Regime stürzen, was auch die Amerikaner wollen.
Dass Ahrar ash-Sham später einen islamischen Staat anstrebt, der auf der Scharia beruhen soll, scheint für die USA dagegen im Moment irrelevant. Für Washington zählt derzeit einzig der Sieg über den IS.