Die Aufhebung des Ausländerwahlrechts für die Wiener Bezirksvertretungen - von Rot-Grün beschlossen und von Schwarz-Blau angefochten - durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) stößt beim Wiener Verfassungrechtler Heinz Mayer auf herbe Kritik.
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Bürger aus Nicht-EU-Staaten haben - auch wenn sie schon fünf Jahre rechtmäßig in Wien leben - weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht zu den Wiener Bezirksvertretungen. Eine klare Entscheidung des VfGH. Weniger klar ist allerdings die bisher bekannt gewordene Begründung.
Wie nämlich der Gerichtshof schon im Jahre 1969 festgestellt hat, findet sich in der Bundesverfassung keine ausdrückliche Norm für die Wahl der Bezirksvertretungen. Um dennoch einen Verstoß gegen die Bundesverfassung feststellen zu können, musste der Gerichtshof erfinderisch sein und weit ausholen. Er bezieht sich dabei zunächst auf Art 1 BVG; nach dessen zweitem Satz geht das Recht "vom Volk aus". Richtig sagt der VfGH, dass mit "Volk" die Staatsbürger gemeint sind. Allerdings meint Art 1 BVG nach einhelliger Auffassung die Gesetzgebung.
Da die Bezirksvertretungen keine Aufgaben der Gesetzgebung zu besorgen haben, musste der Gerichtshof einen weiteren kühnen Schritt setzen, um zu seinem Ergebnis zu gelangen. Er bezieht Art 1 BVG nun nicht mehr nur auf Gesetzgebungsorgane, sondern auf alle allgemeinen Vertretungskörper; zu diesen zählt er auch die Bezirksvertretungen.
Für allgemeine Vertretungskörper sehe die Bundesverfassung einheitliche Wahlrechtsgrundsätze vor. Einer dieser Grundsätze sei, dass das Wahlrecht nur Staatsbürgern zustehe. Richtig ist daran nur, dass die Bundesverfassung eine derartige Regelung für den Nationalrat, die Landtage und die Gemeinderäte enthält. Wie gelingt es dem VfGH nun eine solche Regelung auch für die Bezirksvertretungen zu erfinden?
Er konstruiert aus den drei Bestimmungen für Nationalrat, Landtag und Gemeinderat ein allgemeines bundesverfassungsrechtliches Prinzip, das sogenannte Homogenitätsprinzip und bezieht dieses auch auf die in der Bundesverfassung gar nicht geregelten Bezirksvertretungen. Auf den Punkt gebracht: Was für Nationalrat, Landtag und Gemeinderat gilt, soll nach dem VfGH auch für die Wiener Bezirksvertretung gelten. Mit diesem kleinen Trick hat der VfGH auch sein erwähntes Erkenntnis aus 1969 "überwunden".
Dass er im Jahre 1974 explizit ausgesprochen hat, dass "das einzige Organ der Gemeinde", das als "allgemeiner Vertretungskörper" anzusprechen ist, der Gemeinderat ist, übergeht der VfGH mit Stillschweigen. Damit gelingt es ihm, das Wahlrecht zu den Wiener Bezirksvertretungen als verfassungswidrig zu qualifizieren. Es muss festgehalten werden, dass ein solches Homogenitätsprinzip nicht aus der Verfassung abgeleitet, sondern vom VfGH in diese hinein interpretiert wurde.
Lassen wir den Anlassfall beiseite und betrachten wir die Methode des Gerichtshofes. Das vorliegende Erkenntnis ist ein Beispiel für eine zunehmende Tendenz des VfGH, seine Entscheidungen, dort wo es ihm gelegen kommt, nicht mit Normen des positiven Rechts, sondern mit von ihm entwickelten "Prinzipien" zu begründen. Diese Prinzipien sind nicht das Ergebnis sorgfältiger juristischer Interpretation, sondern freier richterlicher Rechtsfindung. Je unbestimmter ein solches Prinzip ist, desto mehr Entscheidungsspielraum gewährt es dem Gerichtshof. Als Gericht hat der VfGH aber Recht anzuwenden und nicht solches zu erfinden.
Recht zu setzen ist Aufgabe der Politik und nicht der Gerichte. Ein Verfassungsgericht sollte die Grenzen seiner Kompetenzen genau beachten und sich nicht dem Vorwurf aussetzen, es stelle sein politisches Wollen über das des Verfassungsgesetzgebers.
Heinz Mayer ist Universitätsprofessor für Verfassungsrecht an der Uni Wien.