Der Gesandte des Dalai Lama, Kelsang Gyaltsen,im "WZ"-Interview. | "Wiener Zeitung":China hat dieses Jahr eine umstrittene Eisenbahnlinie eröffnet, die in die tibetische Hauptstadt Lhasa führt. Wie stehen sie dazu?
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Kelsang Gyaltsen: Wir sind für Modernisierung und wirtschaftlichen Fortschritt in Tibet, denn der Lebensstandard ist dort sehr niedrig. Aber diese Entwicklung darf nicht auf Kosten der tibetischen Kultur erfolgen.
Ist die Bahn da eine Gefahr?
Viele Tibeter fürchten, dass die Eisenbahnlinie für sie ähnlich schlimme Folgen haben wird wie für die Indianer in Nordamerika.
Haben sie Angst, eine Minderheit im eigenen Land zu werden?
Ja, und diese Angst ist begründet. Unsere Sprache und Identität werden untergraben. Gleichzeitig haben wir eine große Zuwanderung von Chinesen. In den Städten sind die Tibeter schon eine verschwindende Minderheit. Alles ist von Chinesen dominiert, öffentliche Ämter, Handel etc. Wer sich nicht anpasst, hat keine Chance auf beruflichen Erfolg. Man könnte von einem stillen kulturellen Völkermord sprechen.
Wie ist die Menschenrechtssituation in Tibet?
Schlimm. Die Tibeter dürfen in ihrem Land die eigenen Angelegenheiten nicht regeln. Wenn sie dagegen protestieren, gilt das als unloyal. Sie werden verhaftet, gefoltert und getötet.
Viele junge Tibeter liebäugeln mit einem bewaffnetem Widerstand. Ist der friedliche Weg Tibets in Gefahr?
Manche halten den Weg des Dalai Lama für ineffektiv. Sie glauben, dass man nur dann Aufmerksamkeit erhält, nur dann etwas geschieht, wenn Bilder der Gewalt um die Welt gehen. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Mehrheit dem Dalai Lama folgt.
Für den Dalai Lama ist die Autonomie Südtirols ein Vorbild. Verfolgen Sie diese Idee weiter?
Wir wissen, dass wir uns in verschiedenen Situationen befinden, haben aber von Südtirol viel für unsere eigene Vorstellung von einer Autonomie gelernt.