Zum Hauptinhalt springen

Ein Land, das stets verneint

Von Walter Hämmerle

Kommentare

Die Österreicher sind des Alten überdrüssig, nur auf das Neue wollen sie sich partout nicht einlassen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Österreich ist ein Land von ganz eigener Natur. Was woanders - zugegeben mitunter mehr schlecht als recht, aber immerhin - funktioniert, gilt bei uns nicht selten als schiere Unmöglichkeit. Einige Beispiele:

Im Falle einer aufrechten Koalitionsregierung sollten die Bürger davon ausgehen können, dass die Schnittmenge an politischen Gemeinsamkeiten der Partner um einiges größer ist als die Summe der Differenzen. Stimmt im Allgemeinen, nur nicht in Österreich. Hier vertreten SPÖ und ÖVP nur in absoluten Ausnahmefällen eine gemeinsame Position. Und mühsam gefundene Kompromisse vermögen allenfalls vorübergehend die darunterliegenden Risse zu überdecken. Nicht einmal beim europapolitischen Megathema seit Jahren, der Griechenland-Krise, gelingt es Sozialdemokraten und Volkspartei, eine gemeinsame politische Botschaft an ihre Bürger zu vermitteln: Wer es lieber härter gegenüber den Griechen hätte, hält sich an den Finanzminister, wem Solidarität mit Athen ein Anliegen ist, findet im Kanzler seinen Ansprechpartner. Auch in Deutschland gibt es politische Nuancen der politischen Bewertung, aber nicht in diesem Ausmaß. Kein Wunder, dass die Koalition kaum eine europapolitische Agenda in Brüssel vorantreibt; dafür mangelt es schlicht an der notwendigen gemeinsamen Überzeugung.

Eine Minderheitsregierung gilt hierzulande aus unerfindlichen Gründen als Synonym für absolute Instabilität. Dass dieses Modell in anderen europäischen Ländern - von Skandinavien bis in die Beneluxländer - seit Jahrzehnten gängige Praxis ist, ficht die Kritiker nicht an. Lieber sehen diese es, wenn zwei Parteien miteinander regieren, die außer der Angst vor der Oppositionsbank ansonsten kaum mehr etwas verbindet.

Zu nasskalten Schweißausbrüchen führt in Österreich allein schon die Möglichkeit, dass eine Koalitionsregierung aus mehr als nur zwei Parteien bestehen könnte. Drei sind ein Wahnsinn, vier der absolute Horror. Und das in einem Land, das bis heute von der Tradition des Proporzes geprägt ist. Und wo in Kärnten sogar eine Vier-Parteien-Koalition aus SPÖ, ÖVP, Grüne und Team Stronach regiert - mit der FPÖ als fünftem Pflicht-Partner. Geschenkt, dass in anderen Ländern vier, fünf Parteien in einer Regierung tadellos funktionieren.

Wenn man all das Genannte - antagonistische Zweier-Koalitionen, Minderheitsregierungen und Mehr-Parteien-Regierungen - aus welchen Gründen auch immer, nicht will, bleibt ja noch das demokratiepolitisch logische Gegenmodell:

Ein Mehrheitswahlrecht. Wenig überraschend stößt auch diese Möglichkeit in Österreich auf vehemente Ablehnung, weil dann ja kleinere Parteien unter die Räder kommen könnten. Dass es, um genau das zu verhindern, durchaus abgestufte Varianten gibt, kümmert die Gegner nicht wirklich. Das Prinzip passt angeblich nun einmal nicht zu Österreich. Na, dann.

Früher oder später wird sich dieses Land regierungstechnisch zu neuen Ufern aufmachen müssen. Dass die Erosion der Parteienlandschaft demnächst beendet sein könnte, dafür gibt es nicht den geringsten Hinweis. Besser, man stellt sich heute schon im Kopf auf die neuen Gegebenheiten ein.