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Ein Land im Dauerwahlkampf

Von Marina Delcheva

Politik

Bulgarien wählt am Sonntag - schon wieder - ein neues Parlament. Das Land verzeichnet zwar einen Wirtschaftsaufschwung, kämpft aber mit politischem Chaos und geopolitischen Konflikten.


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Wien/Sofia. "Wer?" Diese simple Frage löste im Juni 2013 die größten Bürgerproteste der jüngsten bulgarischen Geschichte seit dem Niedergang des Ostblocks 1989 aus. Hunderttausende Bürger gingen in den größeren Städten auf die Straße und fragten wütend: Wer hatte den umstrittenen Abgeordneten der türkischen Minderheitenpartei DPS, Delyan Peevski, ohne Hearing, ohne Qualifikation und ohne einem transparenten Ausschreibungsverfahren zum Chef der nationalen Sicherheitsbehörde und damit zu einer der mächtigsten Personen im Land ernannt?

Der Mandatar ist deshalb so umstritten, weil ihm undurchsichtige Beziehungen zur Wirtschaft und Schattenwelt nachgesagt werden. Seine Mutter, und indirekt wohl auch er, leiten ein riesiges Medienimperium, dem um die 20 Titel zugerechnet werden. Hinzu kommen Verflechtungen mit ausländischen Unternehmen.

So ungewöhnlich war die Ernennung durch die damalige Regierung aus Sozialisten, DPS und Nationalisten im Grunde nicht. Ungewöhnlich war der laute und andauernde Aufschrei in der Bevölkerung, der den umstrittenen Politiker zum Rücktritt zwang und in weiterer Folge zu Neuwahlen führte.

"In Bulgarien hatdie Mafia einen Staat"

Man nannte das damals das Erwachen der Bürgergesellschaft. Nur wenige Jahre zuvor schrieb der deutsch-bulgarische Schriftsteller Iliya Troyanov: "Andere Staaten haben eine Mafia. In Bulgarien hat die Mafia einen Staat." Nach über 20 Jahren der Transformation vom Sozialismus in die freie Marktwirtschaft hatte eine kritische, bürgerliche Mitte genug davon. Seitdem hat sich einiges im Land verändert und doch ist vieles beim Alten geblieben.

Am kommenden Sonntag wählt Bulgarien ein neues Parlament. Im November hatte der damalige Premier und Vorsitzende der konservativen Gerb-Partei, Boyko Borissov, sein Amt niedergelegt und Neuwahlen ausgerufen, weil seine Präsidentschaftskandidatin, Zezka Zatscheva, die Stichwahl um das Präsidentenamt verloren hatte. Das Rennen machte der Kandidat der Sozialisten, der General Rumen Radev. "Borissov war sich seines Sieges so sicher, dass er quasi in letzter Minute eine Kandidatin vorstellte und verkündete, dass er zurücktreten werde, wenn Zatscheva verliert. Diese Arroganz kam bei einigen Wählern nicht so gut an", sagt die bulgarische Journalistin Boryana Dzhambazova.

Für Sonntag wird ein Kopf-Kopf-Rennen zwischen Gerb und der Sozialistischen Partei (BSP) erwartet. Zusammen regieren wollen sie nicht. Also zeichnet sich eine instabile Mehrparteien-Koalition ab, die vermutlich wieder nicht das innenpolitische Chaos der letzten Jahre in den Griff bekommen wird. Das sind die dritten vorgezogenen Parlamentswahlen innerhalb von nur vier Jahren. "Es deutet jetzt schon vieles darauf hin, dass auch die kommende Regierung keine ganze Legislaturperiode durchsteht und es wieder Neuwahlen gibt", sagt die Politologin Velina Tchakarova vom Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik. Und das obwohl das Land wirtschaftlich gar nicht so schlecht dasteht. Aber der Reihe nach.

Wirtschaftswachstum höherals jenes der Eurozone

Für heuer wird ein Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent erwartet, was deutlich über jenem der Eurozone liegt. Und auch die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren gesunken und liegt laut Eurostat bei knapp über sieben Prozent. Dass immer mehr Bulgaren in ihrer Heimat einen Job finden, liegt aber weniger an der guten Wirtschaftslage als daran, dass das Land, wie viele östliche EU-Mitgliedsstaaten, einen Teil seiner Arbeitslosigkeit exportiert. Vor allem junge Menschen haben seit der Arbeitsmarktöffnung für Bulgaren und Rumänen 2014 einen Job in Deutschland, Österreich oder anderen westlichen EU-Ländern gefunden. Und das drückt eben die Arbeitslosenzahlen zu Hause und erhöht die Löhne. Im Vorjahr sind sie um 9,5 Prozent gestiegen.

Auch für Österreich ist Bulgarien kein unwesentlicher Handelspartner. Rund 400 heimische Firmen sind dort tätig; laut Nationalbank mit einem Investitionsvolumen von mehr als vier Milliarden Euro. "Das ist zwei Mal so hoch wie in Italien und fünf Mal so hoch wie in Spanien", erklärt Georg Krauchenberg, Geschäftsführer des "Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa".

Trotz der guten Wirtschaftslage - der IT-Sektor boomt, die Löhne steigen, die Abwanderung hat zuletzt leicht abgenommen - ist das Land noch immer das ärmste in der EU. Der Mindestlohn beträgt 230 Euro. Hinzu kommen ein Fachkräftemangel und Brain-Drain - bedingt durch die Emigration der letzten Jahre. Seit 1989 haben drei bis vier Millionen Bulgaren ihre Heimat verlassen.

Die Justizreform istgescheitert

Außerdem kämpft das Land nach wie vor mit Korruption. Es gibt de facto keine Verurteilungen von Mafia-Größen, das Justizsystem gilt als politisch höchst abhängig. Im Vorjahr scheiterte eine umfassende Justizreform, die den Gerichten weitgehende Unabhängigkeit von der Politik gebracht hätte, am Widerstand des Parlaments und Borissovs Regierungspartei Gerb. Neben Rumänien ist Bulgarien das einzige Land, das im Rahmen des europäischen Kooperations- und Verifikationsmechanismus (CVM) jährlich in puncto Korruption, organisierte Kriminalität und Justizreformen von Brüssel evaluiert wird.

Und das gefällt nicht allen. Das Medienimperium rund um den umstrittenen DPS-Mandatar Peevski startete eine Schmutzkübelkampagne gegen die CVM-Berichte und inszenierte diese als "unobjektiv" und "Bulgarien-feindlich".

Mehr Vertrauen in EU als in eigene Institutionen

"Die Bulgaren vertrauen weit mehr der EU als ihren eigenen Institutionen", erklärt Tchakarova. Nur 12 Prozent der Bulgaren vertrauen dem Parlament und 22 der eigenen Regierung. Der EU vertraut hingegen fast die Hälfte. Das politische Chaos spiegelt sich auch im aktuellen Wahlkampf wider. Für die 240 Sitze im Parlament treten 4732 Kandidaten aus 13 Parteien, 9 Bünden und 21 Parteilose an.

Laut aktuellen Umfragen kommen die Sozialisten, die unter der neuen Parteichefin Kornelia Ninova einen Russland-freundlichen Kurs fahren, auf rund ein Drittel der Wählerstimmen. Ebenso die rechtskonservative Gerb-Partei, die um ausgewogene Beziehungen mit Brüssel, aber auch mit Russland und der Türkei bemüht ist. Die rechtsextreme und prorussische Partei "Vereinte Patrioten" dürfte mit rund zehn Prozent drittstärkste Kraft werden. Sie punktet vor allem beim ärmeren Teil der Bevölkerung.

Chancen, ins Parlament einzuziehen, hat auch die Partei des Geschäftsmanns und "bulgarischen Trump", wie sich Veselin Mareshki selbst gerne nennt, "Volya", und die türkische Minderheitenpartei DPS, die seit der Wende zahlreiche Regierungsbeteiligungen hatte. Die beiden pro-europäischen Parteien, der Reformblock und "Ja, Bulgarien", deren Wahlkampagnen dem Kampf gegen die Korruption und die Justizreform gerichtet waren, dürften knapp über beziehungsweise unter der Vier-Prozent-Marke liegen.

Schwieriges geopolitisches Umfeld

Geopolitisch steckt das Land gerade inmitten eines Spannungsdreiecks zwischen EU, Russland und Türkei. Während weite Teile der Wählerschaft die Zukunft Bulgariens in der EU sehen, sind die Beziehungen zu Russland auch 25 Jahre nach der Zerfall der Sowjetunion sehr eng. Ein Fünftel der Bulgaren hegt Sympathien für das "Brudervolk". Hinzu kommt eine starke Energieabhängigkeit von russischen Gasimporten und zahlreichen geschäftlichen Verflechtungen.

Und dann ist da noch der Konflikt mit der Türkei. Von einem möglichen Platzen des Flüchtlingsdeals und weiteren Eskalationen wäre Bulgarien mit seiner rund 240 Kilometer langen Grenze zur Türkei besonders betroffen.

"Es ist einfacher, aus den Niederlanden Drohungen in Richtung der Türkei auszusprechen, als wenn man der unmittelbare Nachbar ist", sagte der ehemalige Premier Borissov kürzlich in einer Fernsehdiskussion. "Die EU wäre gut beraten, die Balkanländer wie Bulgarien in puncto Türkei und Russland stärker einzubeziehen. Sie kennen ihre Nachbarn am besten", sagte Ulf Brunnbrauer vom Regensburger Institut für Ost- und Südosteuropaforschung im Rahmen einer Diskussion in Wien.