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Ein Land im Konjunktiv

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Zum Verzweifeln ist, wie viel mehr in Österreich mit nur kleinen Veränderungen möglich wäre.


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"Verlotterte Bananenrepublik!", behaupten die einen. "Es ist trotz allem ein schönes, gutes Land!", beharren die anderen. Es war noch nie leicht, sich zwischen diesen Erzählungen vom Land und seinen Menschen zurechtzufinden, und heute noch weniger.

Unbestreitbar erheben beide Behauptungen Anspruch auf die Wirklichkeit. Anhänger der These von der verlotterten Republik argumentieren mit deren bemerkenswerter Immunschwäche gegen charakterlich brüchige Egomanen samt Verbündeten. Im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung ist diese genetische Anfälligkeit nicht auf eine bestimmte ideologische Disposition beschränkt. Es ist die Anpassungsfähigkeit an den Wirt, die die Gefährlichkeit eines Virus ausmacht. "Lucona"-Affäre, Kärntner Hypo, "Ibiza", Commerzialbank Mattersburg und die Prätorianer rund um Sebastian Kurz haben nichts gemein, außer dem Gefühl der Unangreifbarkeit, das an allem Anfang steht.

Die Fürsprecher der Republik haben die Ranglisten der globalen Verteilung von Wohlstand und Lebensqualität auf ihrer Seite. Es gibt wenige Staaten, die ihren Bürgern wie Zugewanderten ein vergleichbares Ausmaß an umfassender Sicherheit, Lebenschancen und kultureller Vielfalt sowie eine weitgehend intakte Kulturlandschaft zu bieten vermögen. Diese ökonomische und soziale Attraktivität macht auch den Umstand der ungebrochenen Anziehungskraft Österreichs aus.

Was jedoch gelernte Österreicher zur Verzweiflung treibt, ist das Wissen, um wie viel besser dieses Land dastehen könnte, wenn es nur die Kraft zu geringen Veränderungen aufzubringen vermöchte. Keiner der hier gemeinten Hebel, deren Umlegen einen großen Sprung vorwärts erlaubte, trägt das Kainsmal einer ideologischen Zumutung für die Verantwortlichen, umso irrationaler erscheint die jahrzehntelange Verweigerung.

Posten in öffentlichen Bereichen nach Qualifikation statt Korpsgeist zu vergeben; Autonomie und Gestaltungsräume für Schulen und dafür weniger Bildungsbürokratie; transparente, sich an den Aufgaben und Verantwortlichkeiten orientierende Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden; ein soziales Sicherungsnetz, das zugleich aktiviert; das Unterlassen bürokratischer Gängelung von Einzelnen wie Gruppen, seien es Unternehmer oder Migranten; so viel Transparenz für die Bürger wie möglich; klare Trennung von Parteiinteressen und öffentlichem Amt.

Nichts davon widerspricht den Gewissenspflichten einer Weltanschauung, und trotzdem geht nichts weiter. Schlimmer noch: Bei einigen Punkten bewegen wir uns zurück. Warum? Das vermag niemand zu erklären. Man kann es auch nicht. Es ist halt so.