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Ein Land im Zeichen des Friedens

Von WZ-Korrespondent Werner Hörtner

Politik

Regierung will Frieden mit den Farc-Rebellen schließen.


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Bogotá. Kolumbien stellt seine Angriffe auf die Guerilla-Gruppe Farc vorübergehend ein. Präsident Juan Manuel Santos sagte am Dienstag in einer Fernsehansprache, er werde das Verteidigungsministerium und die Armee auffordern, die Angriffe auf Farc-Camps "für einen Monat auszusetzen".

Er, Santos, habe diese Entscheidung getroffen, um den Konflikt mit der Guerilla zu "deeskalieren". Nach dem Monat werde neu über das Vorgehen im Konflikt mit der Farc entschieden.

Dabei war es Santos persönlich, der sich lange dagegen ausgesprochen hatte, mit der Farc einen Waffenstillstand zu schließen, während man in den Friedensverhandlungen steckt, die seit 30 Monaten andauern. Santos hatte der Guerilla keine Möglichkeit geben wollen, in Ruhe, unter dem Deckmantel einer Waffenruhe aufzurüsten. Dennoch kam es im Laufe der Verhandlungen zu einer sukzessiven Verringerung der Kämpfe. Kurz vor Weihnachten, am 17. Dezember des Vorjahres, hatte bereits die Guerilla einen einseitigen und unbefristeten Waffenstillstand aus. Der auch bis jetzt eingehalten wurde.

Dass Santos nun ebenfalls die Waffen schweigen lässt, ist wohl ein gutes Zeichen für die seit November 2012 - mit Unterbrechungen - laufenden Friedensgespräche zwischen der Farc und Kolumbiens Regierung in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Die Farc-Rebellen kämpfen seit über 50 Jahren - seit 1964 - gegen Großgrundbesitzer und die Regierung. Amtlichen Angaben zufolge wurden in dem längsten bewaffneten Konflikt Lateinamerikas etwa 220.000 Menschen getötet.

Das Vertragswerk, das die Delegationen in Havanna auszuarbeiten suchen, wurde von Anfang an in sechs Teilabkommen gegliedert. Derzeit steht die fünfte Agenda, die die Rechte und die Wiedergutmachung der Opfer des Konflikts umfasst, vor dem Abschluss. Dann kommt der letzte Punkt auf die Tagesordnung, und zugleich der schwerste Brocken: die Mechanismen zur Umsetzung und Überprüfung der Vereinbarungen sowie die sogenannte Transitionsjustiz, der rechtliche Rahmen für die Behandlung der vielen schweren Menschenrechtsverletzungen aller involvierten Konfliktparteien.

In allen Übergangsprozessen von einer Diktatur, einem Bürgerkrieg oder einem bewaffneten Konflikt zu einem Zustand des Friedens und der Demokratie taucht die grundlegende Frage nach Wahrheit und Gerechtigkeit auf. Und diese Frage kann nie für alle Teile zufriedenstellend gelöst werden. In Kolumbien wird nun schon seit längerem diskutiert, wie mit den Massakern der staatlichen Sicherheitskräfte und der mit ihnen verbündeten Paramilitärs auf der einen und der Guerillagruppen auf der anderen Seite in juridischer Hinsicht umgegangen werden soll.

Neue Idee: Transitionsjustiz mit "alternativen Strafen"

Großes Echo widerfuhr dem Vorstoß, den der ehemalige Präsident César Gaviria (1990-1994) Mitte Februar in der größten Tageszeitung "El Tiempo" veröffentlichte. Die Transitionsjustiz wurde bisher nur im Zusammenhang mit den bewaffneten Akteuren, also Armee, Guerilla und Paramilitärs, diskutiert. Gaviria trat nun mit der Idee an die Öffentlichkeit, dass auch die zivilen Komplizen dieser Akteure in die Transitionsjustiz einbezogen werden sollten. Und überraschenderweise stimmten fast alle gesellschaftlichen und politischen Sektoren diesem Vorschlag zu: Wirtschaftsverbände und Linksparteien, die obersten Gerichtshöfe und die Regierung Santos. Auch die Farc-Delegation bei den Friedensverhandlungen in Havanna sprach von einer "begrüßenswerten Initiative". Nur Ex-Präsident Alvaro Uribe, der sich sonst immer als erster in den sozialen Netzwerken in eine Diskussion einmischt, verhielt sich diesmal überraschend zurückhaltend.

Der Hintergrund von so viel Einmütigkeit liegt wohl darin, dass derzeit im Rahmen der Transitionsjustiz "alternative Strafen" diskutiert werden. Das würde bedeuten, dass die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen wohl verurteilt werden, das Urteil jedoch nicht in einer Haftstrafe ausgesprochen wird, sondern eben in einer alternativen Strafe, zum Beispiel in Sozialarbeit. Im Sinne der Gaviria-Initiative würden nun nicht nur Guerilla-Führer und Armee-Offiziere davon betroffen sein, sondern auch Politiker und Unternehmer, die Gewaltakte angeregt haben, und andere Mitverantwortliche. Eine völlige Amnestie oder Strafnachlass ist nach den Normen des Internationalen Strafgerichtshofes im Rahmen einer Transitionsjustiz nicht möglich.

Ein Zeichen, dass der kolumbianische Friedensprozess internationale Wertschätzung erfährt, setzte das Weiße Haus am 21. Februar. Präsident Obama ernannten den Diplomaten Bernard Aronson zum Sonderbeauftragten für den Friedensdialog in Havanna. Die Farc-Guerilla steht zwar weiterhin auf der US-Liste der Terrororganisationen, und ihre Führer sind von Washington steckbrieflich zur Verhaftung ausgeschrieben, doch hat sich die Farc bereits im Abkommen IV zum Thema Drogenhandel verpflichtet, alle entsprechenden Aktivitäten einzustellen. Die US-Militärhilfe an Kolumbien war ausschlaggebend dafür, die Guerilla an den Verhandlungstisch zu bomben. Der Ton zwischen den beiden Erzfeinden hat sich mittlerweile geändert. "Wir bedanken uns für das Vertrauen der US-Regierung", teilte die Farc-Delegation in einer Presseaussendung nach der Ernennung Aronsons mit.

Beim Staatsbesuch des kolumbianischen Staatschefs Juan Manuel Santos und seiner Gattin beim spanischen Königspaar in Madrid Ende Februar/Anfang März ließ Santos mit dem Satz aufhorchen: "Niemand wird die Waffen niederlegen, um dann in einem nordamerikanischen Gefängnis zu sterben. Das ist völlig unrealistisch." Damit ergriff er unausgesprochen, doch deutlich die Partei der Farc-Führer, die sich verständlicherweise weigern, im Zuge des Friedensprozesses wegen Rauschgifthandels an die USA ausgeliefert zu werden.

Der Friedensprozess, der noch vor einem Jahr wegen seiner Langsamkeit dem Scheitern nahe war, hat nunmehr einen noch nie gekannten Schwung erreicht. Die Chancen für einen positiven Abschluss bis zu den Oktoberwahlen oder bis zum Jahresende erscheinen erstmals realistisch.