Am Sonntag finden in Bulgarien die Parlamentswahlen statt. An demokratische Verhältnisse im Land glaubt der Investigativjournalist Assen Jordanow aber schon lange nicht mehr. Er sieht das Land in den Händen zweier Männer.
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Sofia. Viele Bulgarinnen und Bulgaren haben gehofft, dass die Armut, die Korruption und das organisierte Verbrechen durch den EU-Beitritt im Jahr 2007 abnehmen. Doch das Land landet hier weiterhin auf den hintersten Plätzen verschiedenster Rankings. Die Pressefreiheit nahm stark ab: Während Bulgarien 2006 auf Platz 36 lag, erreicht es zehn Jahre später nur noch Platz 113. Der Investigativjournalist Assen Jordanow sieht Verwicklungen hochrangiger Politiker in das organisierte Verbrechen. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" spricht er von Drohungen und fehlendem Aufklärungswillen der EU.
"Wiener Zeitung": Woran liegt es, dass die Pressefreiheit in Bulgarien seit dem EU-Beitritt so stark abgenommen hat?Assen Jordanow: Nach dem EU-Beitritt 2007 hat der Oligarch und ehemalige Parlamentsabgeordnete der Partei der türkischen Minderheit, Deljan Peewski, begonnen, sein Medienimperium aufzubauen. Er besitzt direkt oder indirekt fast alle Zeitungen und auch Fernsehstationen und Radiokanäle im Land und kontrolliert so den Markt. 2008 hat er auch die Mediengruppe "168 hours", bei der ich tätig war, übernommen. Innerhalb von 24 Stunden haben sich die Bedingungen völlig geändert. Die Oligarchen nutzen ihre Medien, um Menschen, die gegen ihre Interessen agieren, zu diffamieren. Es entstand eine absolute Zensur.
Auch viele andere Probleme wie Armut, Korruption und das organisierte Verbrechen sind durch den EU-Beitritt nicht zurückgegangen.
Als wir der EU beigetreten sind, waren wir sehr optimistisch. Wir haben gehofft, dass sich unsere Sozialstandards verbessern und das Rechtssystem gestärkt wird. Aber es war das Gegenteil der Fall. Wir haben eine Mutation des früheren kommunistischen Systems. Die Fassade ist demokratisch, aber tatsächlich herrscht in Bulgarien eine neofeudalistische, oligarchische Mafia-Clique, die Schattenwirtschaft betreibt.
Wie zeigt sich das?
Etwa daran, dass der ehemalige Ministerpräsident Bojko Borissow, der nun wieder kandidiert, ein ehemaliger Krimineller ist (Borissow wurde nie verurteilt, Anm. der Redaktion). Ich habe in den 90er Jahren einige Berichte über illegalen Zigarettenschmuggel in der Nähe von Burgas geschrieben. Der Chef dieser illegalen Zigarettenfabrik war Borissow. Er hat Zigaretten illegal produziert und schmuggelte sie nach Serbien und Montenegro und so in den Rest Europas.
Was passierte, als Sie diesen Bericht veröffentlichten?
Das war 1995. Ich erhielt einen Brief mit einem Rat: "Gehen Sie zum Friedhof und suchen sie sich ein schönes Grab aus." Auch der Bürgermeister von Burgas und Vizepräsident der Partei Gerb, Dimitar Nikolow, ist ein Ex-Schmuggler. Er schmuggelte große Mengen Milchpulver von Russland und der Ukraine nach Bulgarien. Er ist sogar verurteilt worden. Das hat ihm aber nicht geschadet. Im Gegenteil: Die gemeinsame Vergangenheit verbindet ihn und Borissow.
Auf Ihrem Blog "Bivol" erscheinen Berichte über Verwicklungen von Politikern und Staatsbeamten in die Kriminalität. Haben Ihre Veröffentlichungen Konsequenzen?
Der Generalstaatsanwalt Bulgariens, Sotir Zazarow, hat, als er noch Präsident des Gerichts in Plowdiw war, Steuern hinterzogen, indem er Eigentum unterschlagen hat. Wir haben das in unserem Blog "Bivol" 2012 veröffentlicht und mit Dokumenten bewiesen. Das Ergebnis war, dass die Daten in den öffentlichen Verzeichnissen gelöscht und geändert wurden und Zazarow zum Generalsstaatsanwalt Bulgariens gewählt wurde.
Sie veröffentlichen auch immer wieder Berichte, in denen es um die Veruntreuung von EU-Geldern geht. Führen diese zu Ermittlungen seitens der Behörden?
Wir haben auf "Bivol" einen Bericht veröffentlicht, in dem es erneut um den bulgarischen Unternehmer Mario Nikolow gegangen ist, der 2007 im Zuge der "Sapard-Affäre" schon EU-Gelder veruntreut hat. Diesmal haben er und seine Leute EU-Gelder für eine Enten- und Truthahnfarm angesucht. Wir haben uns die Farm im Ort Zhiwkowodas angeschaut. Tatsächlich wurde sie gar nicht fertiggestellt und es waren keine Tiere darin. Wir haben diese Informationen an Olaf (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung, Anm.) nach Brüssel weitergeleitet. Ich habe mit Francesco Albore von Olaf persönlich gesprochen, ihm die Beweise gegeben und gesagt: "Sehen Sie, was in Bulgarien mit EU-Geldern passiert." Er hat nur gesagt: "Wir haben keinen effizienten Weg, solche Antragsteller auszusortieren. Jedes Projekt steht für sich. Dass sie in der Vergangenheit falsche Angaben gemacht haben, können wir nicht berücksichtigen."
Glauben Sie, dass EU-Institutionen in die Korruption in Bulgarien verwickelt sind?
Ich bin seit 25 Jahren investigativer Journalist. Ich habe keine Unterlagen, die das belegen, sonst hätte ich sie längst veröffentlicht. Aber meine Erfahrung als Journalist in dem korruptesten Land der EU deutet daraufhin, dass hier Korruption im Spiel ist.
Ein Thema, das auf "Bivol" mehrfach behandelt wurde, war der Bankrott der viertgrößten Bank Bulgariens, der Corporate Commercial Bank (CCB) im Jahr 2014.Der Bankrott der CCB hat die Bevölkerung sieben Milliarden Euro gekostet. Das Geld wurde von Menschen wie Deljan Peewski gestohlen (es gibt hier keine Verurteilung, Anm. der Redaktion). Die Menschen wissen das. Aber was kann man tun in einem Land, in dem der Generalstaatsanwalt korrupt und total abhängig von Peewski ist? Jetzt sind wir die Zeugen des zweiten Raubes an der CCB. Nun werden die Aktiva der Bank, dazu gehören Waffenfirmen und die bulgarische Telekom, an Peewski und seine Männer für fast gar nichts verkauft. Das Gericht hat Liquidatoren eingesetzt, die im Sinne Peewskis handeln. Wir haben Aufnahmen von Richtern veröffentlicht, die das belegen. Auch der ehemalige Chef der Bank, Zwetan Wassilew, hat Interviews gegeben, in denen er sagt, dass Bulgarien in den Händen zweier Männer liegt: Bojko Borrisow und Deljan Peewski. Wassilew versteckt sich in Belgrad. Er weiß, wenn er nach Bulgarien kommt, wird er umgebracht. Denn er gehörte zur kriminellen Struktur der Mafia und wir haben kein unabhängiges Gericht, vor dem er aussagen kann.
Sie denken, auch Bojko Borissow, der erneut als Ministerpräsident kandidiert, ist in diese kriminellen Machenschaften involviert?
Ja, das ist er. 2011 wurde eines der weltweit größten Tabakunternehmen, Bulgartabac, privatisiert. Es wurde von einem komplett unbekannten Unternehmen mit Sitz in Wien gekauft: BT Invest. Für einen Tag wurde es mit hunderten Millionen gefüllt. Wir wissen auch, woher das Geld kommt. Es stammt von der CCB. Wir haben Dokumente, die das belegen. Hinter der BT Invest steht eine Kette von Offshore-Unternehmen, verfolgt man die Kette weiter, gelangt man zu Peewski, Borrisow und Ahmed Dogan, dem früheren Präsidenten der Partei der türkischen Minderheit. Es ist unmöglich, ein bulgarisches Gericht anzurufen, sie sind für solche Fälle taub. Da die Firma ihren Sitz in Wien hat, haben wir ein österreichisches Gericht wegen Geldwäsche angerufen. Es hat aber keine Ermittlungen aufgenommen.
Sie haben zwei Mordversuche überlebt und sind immer wieder Drohungen ausgesetzt. Was treibt Sie an, weiterzumachen? Ist es die Hoffnung auf Veränderung?
Vielleicht bin ich ein Idiot (lacht). Die Hoffnung ist es nicht. Hoffnung ist etwas für schwache Menschen. Ich glaube an meine eigenen Fähigkeiten. Ich denke, es gibt keinen anderen Weg für mich.
Was muss Ihrer Ansicht nach passieren, damit sich die Situation in Bulgarien ändert?
Es bräuchte lang anhaltende Proteste, vielleicht wie in Rumänien. Wir hatten 2013 in der Bevölkerung wegen Sparmaßnahmen Proteste, die Borissow zum ersten Rücktritt gezwungen haben. Sie sind aber versandet. Ich bin pessimistisch, dass es zu größeren Aufständen kommt. Nach 25 Jahren sind die Bulgaren müde.
Zur Person
Assen Jordanow
arbeitete viele Jahre für verschiedene, bulgarische Zeitungen. 2010 gründete er den Aufdecker-Blog "Bivol", der wegen seiner Berichte über Korruption und Verbindungen zwischen der Politik und dem organisierten Verbrechen im ganzen Land Bekanntheit erlangte. 2010 wurde er aufgrund seines Einsatzes für die Meinungs- und Pressefreiheit mit dem Leipziger Medienpreis ausgezeichnet. Im selben Jahr setzte ihn die Organisation "Reporter ohne Grenzen" auf die Liste der "100 Informations-Helden". Jordanow lebt in Burgas.