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Ein Land ohne Sozialdemokraten

Von Walter Hämmerle

Analysen

Die SPÖ ist heute im Ländle marginalisiert. | Vergangene Erfolge, hoffnungslose Gegenwart. | Bregenz. Totgesagte leben länger. Niederlagen, auch solche in Serie, gehören zum politischen Geschäft - und dieses ist in den vergangenen 15 Jahren so schnelllebig geworden wie fast kein anderes. Also kein Anlass, den Untergang der Sozialdemokratie auszurufen, Stimmungen können in der Stimmungsdemokratie schnell kippen.


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Dennoch ist es nicht ohne intellektuellen Reiz, sich eine Welt ohne SPÖ vorzustellen. Aber was heißt vorstellen, es gibt sie ja bereits, diese Welt ganz - oder zumindest fast - ohne SPÖ. Von Wien aus muss man dazu allerdings ans andere Ende der Republik fahren, hinter die Berge sozusagen. Nach Vorarlberg.

Hier hat die SPÖ praktisch zu existieren aufgehört - und mit Werner Faymann hat das wenig zu tun.

Natürlich weist auch das Ländle all die Absonderlichkeiten dieser Republik auf, in der selbst unpolitische Sport- und Freizeitvereine einen parteipolitischen Anstrich haben. Und natürlich sind diese nach der politischen Mengenlehre im Land zum überwiegenden Teil schwarz. Nur Rote gibt es so gut wie keine.

Aufgeteilt zwischen Schwarz und Blau

Deren Rolle als zweite Kraft im Land füllen in Vorarlberg die Blauen aus. Wer sich eine FPÖ mit den Strukturen einer Volkspartei nicht vorstellen kann, der muss nur einmal nach Lustenau fahren. Die mit etwas mehr als 20.000 Einwohnern größte Marktgemeinde Österreichs wird seit Jahrzehnten blau regiert. Hier gibt es zwar nur einen "Blauen Platz", aber neben einem schwarzen (Austria Lustenau) auch noch einen blauen Fußballverein (FC Lustenau), neben einem schwarzen auch einen blauen Musikverein und der blaue Seniorenring wetteifert mit dem schwarzen Seniorenbund um die Freizeit der agilen Pensionisten. Bekennende SPÖ-Anhänger muss man mit der Lupe suchen. Bei der Gemeinderatswahl 2005 schafften sie noch 4 Prozent.

Im Rest des Landes ist die SPÖ nur unwesentlich stärker: Nur zwei von 96 Bürgermeistern stellt die SPÖ, die FPÖ immerhin fünf, den großen Rest die ÖVP und Bürgerlisten, die zum überwiegenden Teil ÖVP-nahe sind. In der größten Talschaft des Landes, dem Bregenzerwald, verfügt die SPÖ noch nicht einmal über rudimentäre Parteistrukturen.

Weniger überrascht da, dass auch das Rückgrat der Arbeitnehmer-Interessenvertretung, die Arbeiterkammer, in Vorarlberg einen Schwarzen an der Spitze hat. Nur der ÖGB ist noch in roter Hand - das sagt mindestens so viel über den Stellenwert der Gewerkschaft im Ländle wie über den Zustand der SPÖ aus.

Dabei kann die Ländle-SPÖ durchaus auch auf Erfolge zurückblicken. 1970 etwa eroberte Fritz Mayer für fast zwei Jahrzehnte die bürgerliche Landeshauptstadt Bregenz; auch in Bludenz, Bludesch und anderen Gemeinden konnte die SPÖ Mehrheiten für sich mobilisieren. Doch mit den 80ern kam der Niedergang. Zwar gab es auch später noch Erfolgsmeldungen für die SPÖ. Diese aber waren nicht ihrer eigenen Stärke geschuldet, sondern der Schwäche des jeweiligen Konkurrenten.

Keine Uni, dafür aber schwarze Arbeitnehmer

Das Kernproblem der Vorarlberger SPÖ war und ist die Arbeiterschaft. Nicht deren Zahl - Arbeiter, insbesondere Facharbeiter, gab und gibt es sehr wohl. Nur neigte sie nicht, wie es ansonsten der Fall ist, der SPÖ zu, sondern fühlte sich bei der ÖVP besser aufgehoben.

Hinzu kommt, dass es im Land selbst keine Universität gibt. Damit fällt aber auch das tendenziell linksliberale universitäre Umfeld weg, aus dem die SPÖ traditionell einen wichtigen Teil ihrer Kader rekrutiert. Wobei: An urbanen Strukturen und Lebensstilen mangelt es mittlerweile, insbesondere im Rheintal, nicht mehr. Mit diesen ist auch das Jobangebot für Akademiker gestiegen.

Auch bei kritischen Geistern gilt: Was die ÖVP übrig lässt, das haben längst die Grünen für sich erobert. Der SPÖ bleiben nur die noch geschützten, aber zunehmend gefährdeten Territorien von ÖBB und Post. Kein Wunder, dass die Ökopartei bei den Wahlen zur drittstärksten Kraft im Land aufgestiegen sind, die SPÖ ist nur noch Vierte. Es spricht wenig dafür, dass die Ländle-SPÖ diese Reihenfolge aus eigener Kraft in absehbarer Zeit wieder umdrehen kann.

Für die Marginalisierung der SPÖ gibt es also viele objektive Gründe. Aber auch die Partei hat viel dazu beigetragen, dass sie sich im Land nicht als eigenständige politische Kraft etablieren konnte, sondern als Anhängsel der Bundes-SPÖ betrachtet wurde. Eine Todsünde in den Augen der lokalpatriotischen Vorarlberger.

Die Vorarlberger SPÖ droht unter die politische Wahrnehmungsschwelle zu rutschen. Fast so wie die Kärntner ÖVP. Wer dort einmal angekommen ist, kehrt lange nicht zurück.