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Ein Land sucht nach sich selbst

Von Martyna Czarnowska

Analysen

Vorsichtige Annäherung an Griechenland. | Lockerung des Kopftuchverbots undemokratisch? | Solche Plakate gab es in den Straßen Istanbuls noch kaum zu sehen. Auf rund 200 Postern pries eine Tourismus-Kampagne anlässlich des Staatsbesuchs des griechischen Premiers die Schönheiten von Hellas Landschaften an. Urlaub beim einstigen Erzfeind? Das hätten wohl die meisten Türken noch vor zwei Jahrzehnten strikt abgelehnt - genauso wie umgekehrt die Griechen.


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Noch immer glaubt laut Umfragen nicht einmal jeder zehnte Grieche, dass sich die Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei bald wesentlich bessern werden. Unter den Türken ist immerhin jeder zweite optimistisch.

Doch zumindest in einem Punkt hat es in den vergangenen Jahren eine deutliche Annäherung gegeben: Die Wirtschaft hält weniger von politischen Animositäten. Betrug das Handelsvolumen zwischen den Nachbarn vor nicht einmal zehn Jahren 200 Millionen Dollar, waren es 2007 schon fast vier Milliarden Dollar.

Diese Zahlen hat auch der griechische Premier Kostas Karamanlis hervorgehoben, bevor er am Freitag nach drei Tagen die Türkei verließ. Denn manch andere Themen konnte er nicht so positiv bewerten. Er drängte Ankara zu Zugeständnissen im Zypern-Konflikt und zur Besserung der Lage der griechisch-orthodoxen Kirche in der Türkei. Doch Zusagen erhielt Karamanlis keine.

Dabei können beide Probleme Hindernisse auf dem Weg der Türkei in die Europäische Union sein. Der EU-Kurs ist aber erklärtes Ziel der Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan - so wie es die Ausrichtung nach dem Westen war, der sich Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk verschrieben hatte.

Damals war es ein Elitenprojekt, mit dem viele Türken kaum Schritt halten konnten. Und auch heute hat die türkische Gesellschaft ihre Identitätssuche zwischen Tradition und Modernisierung nicht abgeschlossen. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Debatte um die Lockerung des Kopftuchverbots an Universitäten. Das Parlament wird das Verbot aufheben, auch Staatspräsident Abdullah Gül ist dafür.

Die AK-Partei, der Erdogan und Gül angehören, ist islamisch geprägt. Sie hat bei der Parlamentswahl im Vorjahr fast die Hälfte aller Stimmen erhalten. Ihre wirtschaftliche und politische Macht ist stark gewachsen - wie das Selbstbewusstsein ihrer Anhänger. Zu denen gehören auch konservative Teile der Mittelschicht, die vom Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre profitiert hat. Ihre Töchter wollen auf die Universität gehen - und ihr Kopftuch dabei nicht ablegen müssen.

Die Tatsache allein, dass die AKP die Wünsche vieler Wählerinnen erfüllen will, kann daher nicht als undemokratisch bezeichnet werden, wie es Kemalisten tun. Doch die Furcht vor einer Islamisierung des Landes ist bei Teilen der türkischen Bevölkerung real. Dies muss die Regierung mit Taten entkräften - und das erwartet auch die EU.