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Ein Land, zwei Identitäten?

Von Barbara Essig

Politik
Auf der Donauinsel treffen sich einige Taiwanesen zum gemeinsamen Grillen.

Früher Wirtschaftsflüchtlinge, heute überwiegend Musikstudenten.


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Wien. Der 14. Jänner ist ein großer Tag in Taiwan. Erstmals seit Einführung der Demokratie 1992 finden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gleichzeitig statt. Von den rund 3000 Taiwanesen, die laut taiwanesischem Wirtschafts- und Kulturbüro in Österreich leben, wird jedoch nur ein kleiner Teil an der Wahl teilnehmen. Eine Stimmabgabe ist für Auslands-Taiwanesen in Österreich ebenso wenig möglich wie in allen anderen Staaten der Welt. Wollen Taiwanesen wählen, müssen sie in ihr Heimatland zurück. Einige wenige würden für die Wahlen nach Taiwan zurückkehren, erzählt Herr Tsao vom Wirtschafts- und Kulturbüro. Das Datum sei günstig gewählt: Am 23. Jänner findet das chinesische Neujahrsfest statt, der in China und Taiwan wichtigste Feiertag. Viele der Heimkehrenden nutzen daher die Gelegenheit und verbinden die Stimmabgabe mit einem längeren Urlaub bei der Familie.

Die Struktur der taiwanesischen Community in Österreich hat sich in den letzten Jahren laut Tsao stark verändert. Vor 20, 30 Jahren, als die taiwanesische Wirtschaftslage schlecht und das Land von einem Diktator beherrscht wurde, flohen viele aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich. Arbeit fanden sie hier vor allem in der Gastronomie, wo jetzt noch mindestens 50 Prozent der Taiwanesen beschäftigt sind.

Mittlerweile floriert Taiwan wirtschaftlich. Mit der veränderten Wirtschaftslage hat sich auch die Migration nach Österreich geändert: Heute sind viele der Einwanderer für die Österreich-Zweigstellen taiwanesischer Firmen tätig oder arbeiten im Bereich Import-Export.

Der überwiegende Teil der Migranten kommt jedoch, um zu studieren. Rund 200 taiwanesische Studenten gibt es österreichweit, 90 Prozent von ihnen studieren Musik. Die meisten kehren wieder in die Heimat zurück, sobald sie ihr Studium abgeschlossen haben, sagt Allen Tsao. Allen ist Mitglied des "Taiwanese Students Council of Austria" (TSCA) und kümmert sich darum, dass sich die Neuankömmlinge wohlfühlen. Etwa drei Treffen veranstaltet der TSCA pro Semester: Willkommensveranstaltungen, Wien-Spaziergänge, aber auch Ausflüge zur Seegrotte oder zum gemeinsamen Paintballspielen. Der TSCA verstehe sich als rein sozialer Verein, sagt Allen Tsao. Auf Sport wird verzichtet - bei den vielen Musikern sei das Verletzungsrisiko zu hoch. Doch auch Politik ließen sie absichtlich außen vor, diese spalte zu sehr.

Taiwan nimmt heute eine Sonderstellung ein. Es ist eine Insel der Demokratie angrenzend an das kommunistische China. Das Land verfügt über ein eigenständiges Militär und über eine Regierung, die völlige Souveränität über Taiwan besitzt. Der völkerrechtliche Status des Landes ist aber ungeklärt. Sowohl die Volksrepublik China als auch die Republik China, die im Wesentlichen aus Taiwan besteht, erheben Anspruch auf das Gebiet. Für die österreichische Regierung ist die Lage klar: "In Übereinstimmung mit der von der überwiegenden Mehrheit der Staatengemeinschaft vertretenen Ein-China-Politik wird Taiwan von Österreich nicht als selbständiger Staat anerkannt", steht auf der Homepage des Außenministeriums. Tsao betont: "Taiwan ist de facto unabhängig von Festlandchina. Wir wollen diesen Status beibehalten und eine Anerkennung dieser Realität durch die anderen Staaten."

Chinese oder Taiwanese?

Allen Tsao ist ein untypischer taiwanesischer Student. Als Sohn eines Diplomaten hat er seine Kindheit in Taiwan und Deutschland verbracht. Mit 15 kam er nach Österreich, absolvierte hier die Matura und macht gegenwärtig seinen PhD in Biologie. Er fühle sich im deutschen Sprachraum sehr wohl, sagt er, und würde auch in Zukunft gerne in einem deutschsprachigen Land leben. Auf die Frage, ob er sich eher als Chinese oder Taiwanese fühle, lacht Allen. So habe sich ihm die Frage noch nie gestellt, normalerweise werde er eher gefragt, ob er sich denn als Europäer fühle. Als Kind hätte er sich schon als Chinese gefühlt, sagt er dann. Heute sehe er die Sache etwas differenzierter: "Kulturell sind wir den Festlandchinesen sehr ähnlich, politisch gesehen unterscheiden wir uns aber stark. Einfach weil die Volksrepublik China kommunistisch, Taiwan aber demokratisch ist."

Auch Melody Ishin Hsiao gehört zur neuen Generation taiwanesischer Einwanderer. Sie wuchs in Taiwan auf, ging dann jedoch in die USA, um zu studieren. Nach Österreich kam sie vor einem Jahr, gemeinsam mit ihrem Freund, einem US-Amerikaner, der aus beruflichen Gründen hierher zog. Sie selbst arbeitet für eine Firma, die Webseiten gestaltet.

Schwierigkeiten, sich in Österreich zu integrieren, hatte Ishin Hsiao keine. Taiwan sei ziemlich westlich, meint sie, der Unterschied zu Österreich sei nicht so groß. Zumindest die nächsten fünf Jahre würde sie gerne in Österreich bleiben: "Bis ich ordentlich Deutsch gelernt habe." Ishin Hsiaos Freundeskreis bestehe hauptsächlich aus Personen, die sie im Deutschkurs kennengelernt hat, und aus Arbeitskollegen ihres Freundes. Kontakt zur taiwanesischen oder chinesischen Community in Österreich hat sie kaum.

Dennoch ist Ishin Hsiao eine der wenigen, die für die Wahlen nach Taiwan zurückfliegen. Einerseits, weil eine ihrer Freundinnen heiraten wird und sich der teure Flug somit doppelt auszahlt. Andererseits hält sie die diesjährigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen für besonders wichtig und möchte den amtierenden Präsidenten unterstützen: "Er hat Taiwan international sichtbarer gemacht und ist nicht so korrupt wie sein Vorgänger."

Ob sie denn nun Chinesin oder Taiwanesin sei? "Chinesin aus Taiwan", antwortet sie, fügt dann jedoch hinzu, dass sie jedes Mal, wenn sie länger unter Chinesen oder Taiwanesen ist, einen Reintegrationsschock erleide. "Weltbürgerin", fragt sie, "geht das auch?"