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Ein langer Weg bis zu einem Zusammenleben

Von Martyna Czarnowska

Politik

Die Flüchtlingsrückkehr ist eines der Probleme, das die Staaten, die früher Jugoslawien gebildet haben, bewältigen müssen. Allein in Bosnien-Herzegowina sind zwischen 1992 und 1995 zwei Millionen Menschen vertrieben worden. An politischen Signalen, die Rückkehr ermöglichen zu wollen, mangelt es mittlerweile nicht. Doch an der Umsetzung kann es scheitern.


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"Früher haben wir nicht unterschieden", sagt Susanna. "Wir waren alle Jugoslawinnen und Jugoslawen." Doch nun tauche immer wieder die Frage auf: Serbe oder Bosniake, Christ oder Moslem? Der multiethnische Staat Jugoslawien ist zerfallen, die Wunden, die der Krieg schlug, sind tief. Fast jede Familie hat in den 90er-Jahren Verwandte oder Freunde verloren. Auch Susanna, die Bosnierin, die während der zweijährigen Belagerung Sarajevos in der Stadt geblieben war, hat Tote zu betrauern. Doch darüber möchte sie nicht reden. Denn wie soll ein Zusammenleben möglich sein, wenn es ständig begleitet ist von der Frage, ob der Nachbar den Cousin auf dem Gewissen hat?

Vor dem Krieg waren von den 580.000 EinwohnerInnen Sarajevos 45 Prozent BosniakInnen, 33 Prozent Serbinnen und Serben und 18 Prozent KroatInnen. Vor zwei Jahren lebten dort zu 85 Prozent Bosnierinnen und Bosnier. Im Mai beklagte das kroatische Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums, Dragan Covic, den Schwund der kroatischen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina. Eine Heimkehr von Kroaten in die serbische Entität Bosniens, die Republika Srpska, sei mit wenigen Ausnahmen nicht möglich. Auch die Caritas kritisierte, dass dort die serbische Bevölkerung gegenüber katholischen Heimkehrenden bevorzugt werde.

Eine Million zurückgekehrt

Etwas optimistischer sieht dies John Farvolden vom UNHCR Bosnien. Immerhin sei bereits eine Million Menschen in ihr Land zurückgekehrt. "Das hätte vor drei, vier Jahren niemand geglaubt", sagt Farvolden. Damals sei es schwieriger gewesen, zurückzukehren, die Bereitschaft der Volksgruppen nebeneinander zu leben, gering. Die Situation habe sich aber gebessert, mehr Sicherheit sei ebenso gegeben. 93 Prozent der Besitzansprüche seien geklärt. Die Regierungen - Bosnien-Herzegowina ist seit 1995 in die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska geteilt - gründeten einen Fonds für die Flüchtlingshilfe, den sie heuer mit sieben Mio. Euro speisen wollen. Zusätzliche vier Mio. kommen von der EU-Kommission.

Vor einigen Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt, und die Europäische Union hat wesentlich mehr Geldmittel für die Flüchtlingsrückkehr zur Verfügung gestellt. Doch der Schwerpunkt der Gemeinschaftshilfe hat sich von den Bereichen Infrastruktur, Rehabilitation und demokratische Stabilisierung (einschließlich Hilfe für Flüchtlinge) zu den Bereichen Institutionenaufbau sowie Justiz und Inneres verlagert. Im Rahmen des CARDS-Programms (für Wiederaufbau, Entwicklung und Stabilisierung in Südosteuropa) hat die EU für den Zeitraum 2000-2006 Mittel in Höhe von rund fünf Mrd. Euro zugewiesen.

Neue Existenz im Ausland

Weniger finanzielle Unterstützung ist einer der Gründe für die Vertriebenen, fernzubleiben. Seit zwei Jahren geht die Zahl der Rückkehrenden in Bosnien-Herzegowina - wie auch in anderen Staaten - zurück. Waren es 2002 103.000 Menschen, kehrten im Vorjahr 54.000 zurück. Heuer waren es 6.000 Personen. Viele der Vertriebenen haben sich im Ausland eine neue Existenz aufgebaut, ihre Kinder gehen dort zur Schule. Und die Job-Aussichten in Bosnien-Herzegowina sind nicht einladend: Die Arbeitslosen-Quote liegt bei 40 Prozent.

Während in einigen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens die Diskriminierung kroatischer oder bosnischer Rückkehrender beklagt wird, scheinen in Kroatien gerade serbische Flüchtlinge vor größeren Problemen als andere Volksgruppen zu stehen (siehe a. Artikel unten). Zwar mangelt es nicht an politischen Signalen, und auch eine Reihe von Staatsbesuchen aus dem benachbarten Serbien und Montenegro deutet auf den Willen zu engerer Zusammenarbeit hin. Doch kann es noch immer passieren, dass die Rechte der Besetzer höher eingestuft werden als die Ansprüche der Besitzer. An die 2.000 Häuser sind weiterhin von Flüchtlingen - beispielsweise aus Bosnien-Herzegowina - besetzt, das Problem der Wohnungen ist in der Praxis nicht gelöst. Die serbischen Eigentümer müssen ihren Anspruch auf Rückgabe oder Wiederaufbau erst durchsetzen.

Die Eigentumsrückübertragung, den Wiederaufbau und die Schaffung von Ersatzwohnungen sieht denn auch Axel Jaenicke von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als die größten Herausforderungen für Kroatien an. Dort sei die Enteignung massiv vorangetrieben worden. Wer nämlich seine Wohnung "ungerechtfertigterweise" sechs Monate nicht benutzt hat, verlor das geschützte Wohnrecht (die Rechte der Mieter entsprachen fast einem Eigentumsanspruch). Zwischen 1991 und 2002 betraf das 24.000 - fast ausschließlich - serbische Familien. Bis Ende des Jahres sollen nun alle "nicht illegal besetzten" Häuser rückerstattet werden, die Frist bei illegal besetzten lief im Juni aus. Für etliche der 200.000 im benachbarten Ausland lebenden Serbinnen und Serben könnte das ein Grund sein, zurückzukehren. Die meisten von ihnen werden aber wohl fernbleiben.

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Geflüchtet

Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) konnten rund 900.000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien noch nicht in ihre Heimat zurück. Davon sind zwei Drittel im eigenen Land Vertriebene.

So befinden sich in:

- Serbien und Montenegro 514.002 Flüchtlinge (davon 188.675 aus Kroatien und 99.142 aus Bosnien-Herzegowina; 225.738 sind Binnenflüchtlinge),

- Bosnien-Herzegowina 346.383 Flüchtlinge (davon 19.404 aus Kroatien und 323.928 im eigenen Land),

- Kosovo 31.350 Flüchtlinge (davon sind 25.100 Binnenflüchtlinge),

- Kroatien 15.164 Flüchtlinge (davon 3.619 aus Bosnien-Herzegowina und 11.082 im eigenen Land),

- der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien 4.418 Flüchtlinge (davon 2.437 aus Serbien und Montenegro sowie 1.956 Binnenflüchtlinge),

- Albanien 109 Flüchtlinge (davon 76 aus Serbien und Montenegro). Stand 1. Mai 2004