Im indischen Jharia wird Kohleabbau auf brutalste Weise betrieben - mit fatalen Folgen für Umwelt und Bevölkerung, die in den Dschungel umgesiedelt werden soll.
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In Jharia, im Bundesstaat Jharkhand, leben rund 600.000 Einwohner inmitten eines der größten Kohleabbaugebiete Indiens. Die meisten haben nichts davon. Im Gegenteil, der Boden, das Wasser und die Luft sind verseucht, und das in einer Gegend, die vormals reich an Wäldern war. Mit dem stark ansteigenden Wirtschaftswachstum Indiens wird der Bedarf an Energie und somit der Hunger nach dem schmutzigen und vermeintlich billigen Rohstoff Kohle immer größer. Das Kohlerevier Jharia ist einerseits das größte Kohleabbaugebiet Indiens, andererseits aber auch das Gebiet mit der größten Anzahl an Kohleflözbränden.
Kohleflözbrände sind nicht nur lokal, sondern auch global eine der größten Ursachen für Umweltverschmutzung. Denn Kohlefeuer pusten gewaltige Mengen an Kohlendioxid in die Luft, allein in Indien sind es rund 1,4 Milliarden Tonnen pro Jahr. Das Land ist somit der viertgrößte Produzent von Treibhausgas weltweit.
Illegaler Tagebau
Die Geschichte von Jharia ist eine Geschichte darüber, wie sich Profitgier, Eigeninteressen und Machthunger durchsetzen und dazu führen, dass eines der an Mineralien reichsten Gebiete Indiens wirtschaftlich rückständig bleibt. Denn der Bergbau marginalisiert die Armen und verschärft die soziale Ungleichheit im Rahmen einer wirtschaftlichen Entwicklung, von der zumeist nur Metropolen wie Delhi, Bangalore oder Mumbai profitieren.
Die Jharia-Kohlenfelder, die sich im Bezirk von Dhanbad befinden, ungefähr 270 Kilometer von Ranchi entfernt, sind bereits 1896 eröffnet worden. Kurz nach 1971 wurden die Kohleminen verstaatlicht. Seitdem ist die BCCL (Bharat Coking Coal Limited) deren Betreiber und verfügt damit über eines der größten Kohlevorkommen in Indien und ganz Asien. BCCL betreibt in der Hauptsache Tagebau. Zumeist illegal, da in 97 Prozent der Fälle keinerlei Genehmigung dazu vorliegt. Tagebau ist profitabler als Untertagebau. Die Arbeitsproduktivität und die geförderte Kohlemenge sind deutlich höher und verursachen weniger Kosten.
In Jharia wird die Kohle neben den Häusern in den Dörfern, also im direkten Lebensraum der Einwohner, abgebaut. Sogar an Straßen, Bahngleisen, ja, selbst am Bahnhof, der nun keiner mehr ist, wird Kohle abgebaut. Der Vorstandschef der indischen Bahn hat Strafanzeige gegen das Vorgehen der BCCL erstattet, die ohne jegliche Genehmigung unter den Bahngleisen Tagebau betrieben hat. Vergeblich.
Ashok Agarwal von der Organisation "Jharia Coalfield Bachao Samiti" (Save Jharia Coalfield Committee), einer Organisation, deren Mitglieder Bewohner von Jharia sind, die sich gegen die Vertreibungspolitik der BCCL einsetzen, sagt: "Leider gehören die ,Indian Railways‘ der indischen Regierung, denn die Bahnen werden ja von der indischen Staatsbahn betrieben. Man kann sagen, dass praktisch alles der indischen Regierung gehört - und somit ist diese Angelegenheit ad acta gelegt worden."
Eigentlich sollten ausgeförderte Gebiete mit Sand und Wasser aufgefüllt werden, damit sie rekultiviert werden können. Aus Kostengründen geschieht dies aber nicht, was dazu führt, dass die Kohleflöze mit Sauerstoff in Kontakt kommen und Feuer fangen. In Indien gibt es die meisten Kohleflözbrände weltweit. Die Brandherde fressen sich tief in die Erde, lassen Schächte einbrechen und giftige Dämpfe aus den Bodenspalten quellen.
Strategische Brände
"Die Bewohner von Jharia sind diejenigen, die darunter zu leiden haben", beschreibt Ashok Agarwal den fatalen Kreislauf: "Die Kohleflözbrände, die innerhalb der Minen und überall sonst in und um Jharia herum ausbrechen, werden von der BCCL vorsätzlich nicht gelöscht. Die Minen sind voller Wasser, und wenn dieses Wasser richtig geleitet würde, würden die Kohleflözbrände sofort gelöscht werden können. Immer dann, wenn die Kohleflözbrände nicht im Interesse der BCCL sind, werden sie auch sofort gelöscht. Aber meistens sind sie im Interesse der BCCL.
Der Grund dafür ist: Die BCCL will unbedingt Tagebau betreiben. Um diesen auch weiterhin betreiben zu können, braucht sie soviel Land wie möglich. Und es ist nicht einfach, an Land heranzukommen. Deswegen unternehmen sie nichts gegen die Brände. Je mehr Land Feuer fängt, desto mehr Land wird als gefährlich eingestuft. Und dann können die Bewohner vertrieben werden - und die BCCL bekommt dieses Land. Das ist die größte Tragödie, die Jharia gerade erlebt: Die Kohleflözbrände in Jharia werden vorsätzlich nicht gelöscht!"
Unter Jharia lagern mehr als 1000 Millionen Tonnen Kohle. Zu stark sind daher die Interessen und der Einfluss des Betreibers, damit die Minen weiter bestehen und der Kohleabbau weiterhin betrieben werden kann. Zudem hat eine "Mafia" das Gebiet um Jharia fest in ihrer Hand und fährt durch Erpressung, Bestechung und sonstige kriminelle Machenschaften einen nicht unbeträchtlichen Gewinn ein.
Die Tagebaugebiete sind dicht besiedelt: 40 Prozent der Einwohner von Jharia leben direkt auf dem brennenden, Feuer speienden Land. Landflächen sinken ab, Häuser stürzen ein. "In unserem Haus ist es immerzu heiß und ständig steigt Rauch vom Fußboden auf", erzählt eine Einwohnerin aus dem kleinen Dorf Bokalpari, das von Kohleflözbränden umgeben ist. Zudem enthalten der Rauch und die Dämpfe Giftstoffe, unter anderem Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und Stickoxide, aber auch Ruß, Methan und Arsen. Die gesundheitlichen Schäden sind enorm. Lungen- und Hauterkrankungen, Krebs und Magenbeschwerden sind nur einige der Krankheiten, mit denen die Menschen in Jharia zu kämpfen haben.
Ashok Agarwal: "Wegen der massiven Luftverschmutzung hat praktisch jeder, der in der Umgebung von Jharia lebt, Lungenprobleme, also Bronchitis, Asthma oder Lungenkrebs. Alles wegen der enormen Ablagerungen von Kohle in der Lunge. Das durchschnittliche Lebensalter der Bewohner in dieser Region ist mittlerweile sehr stark gesunken."
Einzimmer-Wohnungen
Was geschieht, wenn jemand krank wird? Die Regierung hat ihre eigenen Krankenhäuser. Diese sind jedoch den Angestellten der BCCL vorbehalten. "Aber die enorme Luftverschmutzung belastet nicht nur die Angestellten der BCCL, sie belastet jeden, der hier wohnt", klagt Ashok Agarwal. "Und die armen Leute müssen selber für ihre medizinische Versorgung aufkommen, wenn sie krank werden. Aber die meisten von ihnen verfügen nicht über das nötige Geld. Deswegen gehen sie erst gar nicht ins Krankenhaus."
Statt etwas gegen die Feuer zu unternehmen, soll nun einer der weltweit größten Umsiedlungspläne umgesetzt werden, der Jharia Action Plan (JAP). Die Bewohner der Feuer-Gebiete sollen nach Belgaria umgesiedelt werden, ein Neubaugebiet, das sich mitten im Dschungel befindet. Dort gibt es keine Schule, keinerlei ärztliche Versorgung, keine Geschäfte und keinerlei Jobs. Die meisten Wohnungen sind Einzimmer-Unterkünfte, in denen bis zu zehnköpfige Familien unterkommen sollen.
Ashok Agarwal: "Diese Leute sind praktisch gezwungen worden, dorthin zu ziehen. Sie sind niemals gefragt worden, ob ihnen dieser Ort gefällt oder nicht. Die BCCL hat einfach beschlossen, ihnen ein winziges Zimmer mit Badezimmer und Küche zur Verfügung zu stellen. Und das an einem entlegenen Ort, acht Kilometer von Jharia entfernt."
Den meisten Menschen wurden 10.000 Rupien (ca. 140 Euro) und 250 Tage Arbeit versprochen, wenn sie umsiedeln. Aber die allermeisten bekommen gar nichts. Es war vorgesehen, dass die Regierung neben Strom und Wasser auch Schulen, Postämter, Krankenhäuser und Einkaufszentren bereitstellt. Passiert ist bisher gar nichts. Somit entschließen sich viele, in Jharia zu bleiben. Trotz der Brände. Und trotz des Kohlestaubs, der sich wie eine zweite Haut über den Körper legt.
Isabell Zipfel ist in Rom aufgewachsen und lebt nun als freie Fotografin in Berlin. Sie ist für internationale Magazine tätig.
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