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Als Chemiker erlangte Carl Djerassi Weltruhm. Der Autor und Erfinder der Verhütungspille verstarb im Alter von 91 Jahren.
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San Francisco/Wien. Seine Entdeckungen veränderten das Leben von Millionen von Menschen - wie sein eigenes. Kaum ein Wissenschafter hat die Gesellschaft so tiefgreifend geprägt wie Carl Djerassi. Dabei hat der in Österreich geborene Chemiker nicht nur die Anti-Baby-Pille erfunden, sondern sich auch als Schriftsteller, Bühnenautor und Kunstsammler einen Namen gemacht. In der Nacht auf Samstag erlag Carl Djerassi im Alter von 91 Jahren in San Francisco einem Krebsleiden.
Carl Djerassi kam am 29. Oktober 1923 als Sohn eines bulgarischen Vaters und einer österreichischen Mutter in Wien zur Welt. Um Samuel Djerassi heiraten zu können, musste Alice Friedmann die bulgarische Staatsbürgerschaft annehmen. Alsbald zog die jüdische Familie nach Bulgarien, nach der Scheidung der Eltern kehrte Carl jedoch mit seiner Mutter nach Wien zurück. Die Mutter bekam die Staatsbürgerschaft zurück - der Sohn blieb Bulgare.
Flucht in die USA
Der spätere Wissenschafter wurde 1938 von den Nazis aus Wien vertrieben und flüchtete im Jahr darauf mit seiner Mutter in die USA. Pflegeeltern ermöglichten es dem 16-Jährigen, eine High School in Newark zu besuchen und an der University of Wisconsin zu studieren, wo er mit 21 Jahren in organischer Chemie promovierte. Nach dem Studium arbeitete Djerassi zunächst in der Industrieforschung. Es gelang ihm, das Hormon Cortison zu synthetisieren, was die Massenproduktion und den medikamentösen Einsatz des Mittels ermöglichte. Weltberühmt wurde Djerassi jedoch mit einer anderen Erfindung: 1951 konnte er das Schwangerschaftshormon Gestagen synthetisieren. Zusammen mit den Bostoner Pharmakologen Gregory Pincus und John Rock entwickelte er auf dieser Grundlage die Antibabypille. Djerassi bezeichnete sich in seiner ersten Autobiographie als "Mutter der Pille", da er für die chemische Seite des Kontrazeptivums zuständig war. Zeit seines Lebens lehnte er die Bezeichnung "Antibabypille" ab, weil er die Verhütungspille nicht als gegen Babys gerichtet, sondern als Mittel zur Emanzipation der Frau verstand. "Die Idee, dass Sex und Fortpflanzung untrennbar verbunden sind, wurde vor der Verhütung geboren", erklärte er im Interview mit der "Wiener Zeitung": Verhütung werde in 100 Jahren kein Thema mehr sein. "Junge Menschen werden ihre Eier und Spermien einfrieren, um sie zu benutzen, wann immer sie Kinder haben wollen."
1952 nahm Djerassi seine akademische Lehrtätigkeit an der Wayne State University in Detroit auf. 1959 wechselte er an die Stanford University in Kalifornien, an der er 2002 emeritierte. Er brachte es auf über 1300 Publikaitonen und erhielt - bis auf den Nobelpreis - so gut wie alle wichtigen Auszeichnungen, inklusive 30 Ehrendoktorate auf der ganzen Welt. Seine Forschungsschwerpunkte bildeten Empfängnis, Reproduktionsmedizin und ihre Folgen für die Familie, wobei er sich nach und nach von der rein naturwissenschaftlichen Forschung abwendete. "Forscher spielen Gott, sie müssen sich mit ethischen Bedenken auseinandersetzen", empfahl er: "1900 wurden die Menschen halb so alt wie heute, und das hat nicht der liebe Gott bewerkstelligt, sondern die Mediziner. Aber niemand wusste, dass eine Folge sein würde, dass die Menschen so lange leben, bis sie Alzheimer bekommen. Bioethik ist eine richtige, wichtige Auseinandersetzung."
Nach seiner Heirat mit der US-Literaturwissenschafterin Diane Middlebrock begann Djerassi mit 66 Jahren eine zweite Karriere als Autor. In "Cantors Dilemma", "Menachems Same" oder "NO" widmete er sich seiner eigenen Romangattung, "Science in Fiction". Ab 1997 konzentrierte er sich auf das Schreiben von Theaterstücken, die er unter dem Begriff "Science in Theatre" zusammenfasste. Diese feierten Premieren in Edinburgh, London und fanden Eingang in die Spielpläne heimischer Häuser, eine große Wiener Bühne blieb ihm aber verwehrt.
Nach Wien kehrte Djerassi erstmals in den 1950er-Jahren zu einem biochemischen Kongress zurück. "Für Emigranten war Rückkehr eine Mischung von süß und bitter." Mit zunehmendem Alter "wird es immer süßer", meinte er. In den vergangenen Jahren war er häufig in Wien, wo er nach Middlebrocks Tod einen Wohnsitz hatte. 2004 erhielt Djerassi "im Republiksinteresse" die österreichische Staatsbürgerschaft. "Als Chemiker bin ich Amerikaner. Kulturell ist das eine ganz andere Sache", meinte er damals. 2012 und 2013 erhielt er Ehrendoktorate der Uni Wien, der Medizin-Uni Wien, der Universität für angewandte Kunst und der Sigmund-Freud-Privatuni. "Die Beziehung zu meiner Heimat wurde total zerstört in der Nazizeit. Eine meiner Schattenseiten ist, dass ich Anerkennung erfahren will, ich verdiene die Ehrungen. Warum kommen sie erst jetzt?", sagte Djerassi.
Als Kunstsammler besaß er mit über 150 Werken eine der größten Paul-Klee-Privatsammlungen, die er zur Hälfte dem Museum of Modern Art in San Francisco und der Albertina vermacht hat. Den Maler, der auf Leinwand, Glas, Gips oder Papier malte, empfand er als ähnlich vielschichtig, wie er selbst war. Djerassi verfolgte mehrere Ebenen in seinem Kunst-Engagement, wobei das "Djerassi Resident Artist Program" zur Förderung von Malern, Musikern, Schriftstellern und Bildhauern auf die größte Tragödie seines Lebens, den Suizid seiner Tochter Pamela, die Künstlerin war, zurückgeht.
Introspektiv ist seine "allerletzte Autobiografie", "Der Schattensammler". "Ich schreibe über den Selbstmord meiner Tochter. Mein Schreiben ist eine Auto-Psychoanalyse. Sigmund Freud würde sich im Grabe umdrehen, denn es ist, als würde ich zwischen Couch und Psychiater-Stuhl ständig Plätze wechseln", witzelte er. Carl Djerassi hatte Humor und die Gabe, Menschen, die er soeben erst kennengelernt hatte, das Gefühl zu geben, er sei ein Freund.