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Ein Lehrstück für die Demokratie, 1. Teil

Von Max Haller

Gastkommentare
Max Haller ist emeritierter Professor für Soziologie der Universität Graz. Er lehrt nun an den Universitäten Wien und Salzburg. Zum Thema erschien von ihm zuletzt "Politikverdrossenheit oder kritische Demokraten? Eine Analyse der Einstellungen zur direkten Demokratie in Österreich" (Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, H.44/3, 2015). 
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Es mag einigermaßen absurd erscheinen, nach einem Kanter-Wahlsieg eines ausgewiesenen Rechten bei der Präsidentenwahl eine Glosse mit dem obigen Titel zu schreiben. Mir scheint dies jedoch aus drei Gründen berechtigt:

1. Noch bei keiner Bundespräsidentenwahl gab es so lebendige und starke Wahlauseinandersetzungen; noch nie haben sich Medien so sehr um die Kandidaten bemüht und eine so starke Reichweite ihrer Sendungen erreicht.

2. Die Ursache dafür war zum einen, dass sich die Kandidatin und die Kandidaten durch klare programmatische Profile voneinander unterschieden haben, vor allem jene mit den meisten Stimmen.

3. Es war auch eine Persönlichkeitswahl, was sowohl auf den smarten, vergleichsweise jungen FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, auf den seit jeher über den Beliebtheitswerten seiner Partei gestandenen Alexander Van der Bellen, und - vor allem - auf Irmgard Griss zutraf, die aus dem Stand und ohne Parteien und Finanzgeber ein spektakuläres Resultat erzielte.

Jetzt wird allenthalben, vor allem in SPÖ und ÖVP, über eine programmatische Neuausrichtung der Parteien, einen neuen Stil der Zusammenarbeit und der öffentlichen Kommunikation, ja über ein notwendiges Köpferollen an der Spitze diskutiert. Weit wichtiger erscheinen mir die Lehren, die man für die längst überfällige Demokratiereform in Österreich ziehen sollte: Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts; Einführung direktdemokratischer Elemente; Fundamentalreform des Föderalismus in seiner derzeitigen Form (die Aktionen des Landeskaisers von Niederösterreich waren wohl ein Hauptgrund für den Absturz des ÖVP-Kandidaten).

Warum Norbert Hofer die Stichwahl nicht gewinnen wird

All das mag fragwürdig erscheinen im Hinblick auf die Tatsache, dass Österreich bei der Stichwahl in einem Monat einen FPÖ-Bundespräsidenten bekommen könnte, der eine Reihe mehr als fragwürdiger Aussagen getätigt hat. Ich bin aber überzeugt, dass er diese Wahl nicht mehr gewinnen wird. Warum?

Es zeigt sich immer wieder, dass Lokalkaiser oder Politiker mit einem eingeschworenen Wählerstamm in der Bevölkerung insgesamt keine Mehrheit finden. Das beste Beispiel war Franz Josef Strauss, der in Bayern stets satte absolute Mehrheiten einfuhr, bei der Bundestagswahl 1980 jedoch nur 45 Prozent der Stimmen erreichte. Es ist anzunehmen, dass Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll seine Kandidatur aufgrund von Umfragen mit ähnlichen Prognosen zurückgezogen hat. Eine einfache, aber realistische Rechnung zeigt, dass Hofers Gegenkandidat Van der Bellen - wenn er sich jetzt entsprechend in Szene setzen kann - sehr gute Chancen hat.

Wir können Folgendes annehmen: Alle derzeitigen Wähler von Hofer und Van der Bellen bleiben bei ihrem Kandidaten; zu Van der Bellen wechseln von den jetzigen Wählern anderer Kandidaten: 80 Prozent der SPÖ-Wähler (der SPÖ-Vorsitzende hat sich, wie Richard Lugner, schon für ihn deklariert); 60 Prozent der Wähler von Griss und Lugner; 40 Prozent der Wähler Andreas Khols (in den westlichen Bundesländern noch mehr); und - wahlentscheidend - 40 Prozent der größten jetzigen "Wählergruppe", der Nichtwähler (insgesamt 2,1 Millionen).

Die überraschend bescheidene Wahlbeteiligung wird erheblich steigen. Sie spricht übrigens in keiner Weise gegen meine Grundargumentation; auch bei direkter Demokratie zeigt sich, dass die Menschen nur dann teilnehmen, wenn es um eine wirkliche Entscheidung geht.

Von allen anderen freigewordenen Wählern nehme ich an, dass sie zu Hofer gehen; von den Nichtwählern könnten ihn 20 Prozent wählen. In Summe folgt aus diesen Schätzungen ein Wahlergebnis von rund 2,8 Millionen (53 Prozent) für Van der Bellen und 2,4 Millionen (47 Prozent) für Hofer. Alle kritischen Kommentatoren blicken wie gebannt auf Hofers unwahrscheinlich hohen Stimmenanteil (35 Prozent); rechnet man seinen Anteil auf alle Wahlberechtigten hoch, waren es nur 23 Prozent. Ein Sieg Van der Bellens ist keine "gmahte Wiesn", aber die Karten werden bei der Stichwahl - genau wie er selber sagt - vollkommen neu gemischt.