Heute sind die Finanzmärkte viel widerstandsfähiger. Die nächste Krise kommt aber sicher.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
NewYork/Frankfurt. Der 9. August 2007 schien ein ruhiger Sommertag zu sein: Die Raumfähre "Endeavour" war auf dem Weg zur Raumstation ISS und in Österreich meldete Raiffeisen international einen um 38 Prozent gestiegenen Konzerngewinn im ersten Halbjahr. Dann aber kam eine Nachricht, deren Tragweite viele in Finanzwelt und Politik auch lange danach nicht erfassten: Die Europäische Zentralbank (EZB) pumpte in einem massiven Schritt 95 Milliarden Euro in die Märkte. Sie reagierte damit auf die angespannte Lage der Finanzbranche durch die US-Häuserkrise. Viele Institute hatten in komplex verschachtelte Immobilienpapiere investiert, hinter denen zum überwiegenden Teil Kredite von Hausbesitzern standen, die ihre Raten schon längst nicht mehr zahlen konnten.
Mit der massiven Geldspritze der EZB war die US-Subprime-Krise quasi offiziell in Europa angekommen. In vielen EU-Staaten mussten Banken zusätzlich von den Staaten mit Steuermilliarden gestützt werden, da die Institute einander schon damals immer weniger trauten und sich gegenseitig kaum noch Geld liehen.
Der eigentliche Tsunami brach allerdings erst ein Jahr später über die Finanzwelt herein. In Folge der unerwarteten Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 breitete sich die Krise mit rasender Geschwindigkeit rund um den Globus aus und brachte das Wirtschaftssystem an den Rand des Abgrunds. Um einen Ansturm von Sparern auf die Banken zu verhindern, verkündeten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück Anfang Oktober vor laufenden Fernsehkameras eine staatliche Garantie für private Sparguthaben. Die österreichische Bundesregierung folgte dem deutschen Beispiel nur wenige Stunden später.
Mehr Kapital, mehr Aufsicht
In den folgenden Monaten pumpten die USA 250 Milliarden Dollar in ihre großen Banken. In Deutschland verschwanden die einst zweitgrößte Bank des Landes, die WestLB, und der größte Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate von der Landkarte. In Österreich wurde die Kommunalkredit abgewickelt und die ersten Hilfspakete für die schließlich 2009 notverstaatlichte Hypo Alpe Adria geschnürt.
Von Normalität ist allerdings auch zehn Jahre nach der Lehman-Pleite nicht die Rede. So ist der Anteil der faulen Kredite in der EU zuletzt zwar auf 4,4 Prozent gesunken, dennoch schleppten Ende 2017 allein die großen Geldhäuser in der Eurozone sogenannte non performing loans im Umfang von 759 Milliarden Euro mit sich herum. Problematisch ist die Lage dabei nach wie vor in einigen südeuropäischen Ländern. So gelten in Griechenland noch mehr als 45 Prozent der Kredite als notleidend, in Zypern sind es trotz der jüngsten Fortschritte beim Abbau von toxischen Papieren noch immer 32 Prozent und in Portugal 14 Prozent.
Allerdings ist das System in den vergangenen zehn Jahren deutlich krisenfester geworden. So ist die Kernkapitalquote der Banken infolge des 2010 von den weltweit wichtigsten Regulierern beschlossenen "Basel III"-Pakets deutlich angestiegen. In den 28 EU-Ländern lag sie laut der Europäischen Bankenaufsicht EBA Mitte 2017 bei durchschnittlich 14 Prozent - eine Quote, die Banker vor der Finanzkrise für undenkbar gehalten hätten. Die Deutsche Bank, die in der Krise Kapitalspritzen von fast 30 Milliarden verbraucht hat, arbeitete vor dem großen Crash zeitweise mit drei Prozent hartem Kernkapital. "Mit den durch regulatorischen Maßnahmen nach oben gezogenen Minimaleigenkapitalquoten haben wir heute natürlich einen wesentlich größeren Risikopuffer als früher", sagt Stefan Pichler, Vize-Rektor und Professor für Banking and Finance an der Wirtschaftsuniversität Wien, gegenüber der "Wiener Zeitung".
Wesentlich zur Resilienz des Bankensystems beigetragen hat nach Pichlers Ansicht aber auch, dass es für den Markt heute wesentlich glaubhafter ist, dass Banken auch tatsächlich insolvent werden können. Denn in Europa wurden im Rahmen der 2012 gestarteten Bankenunion nicht nur eine gemeinsame Aufsicht der 125 größten Geldhäuser unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) etabliert, sondern auch ein gemeinsamer Abwicklungsfonds. Mit diesem soll sichergestellt werden, dass in Krisenfällen auch größere Institute abgewickelt werden können, ohne den Steuerzahlern Milliardenlasten aufzubürden.
Die Politik als größtes Risiko
Bis die Banken allerdings wirklich nicht mehr "too big to fail" sind, also zu groß, um scheitern zu dürfen, wird es wohl aber noch dauern. Denn bis die Geldtöpfe voll sind, in die Europas Banken für den Notfall einzahlen, werden noch viele Jahre vergehen. Dazu ist die Verflechtung zwischen Staaten und ihren Banken immer noch zu eng und nationale Interessen verhindern häufig, dass die Krisenmechanismen in der Praxis funktionieren und marode Banken tatsächlich vom Markt verschwinden. "Wenn jetzt die Deutsche Bank oder die Unicredit in Schieflage gerät, wird man wohl nicht ausschließen können, dass es doch zu einer staatlichen Intervention kommt", sagt Pichler. In den USA, wo in der Krise nicht lebensfähige Banken konsequent abgewickelt wurden, beginnt man zudem schon die Regulierungen zurückzuschrauben. So hat Präsident Donald Trump bereits im Mai ein Gesetz unterzeichnet, das wesentliche Bestimmungen des 2010 erlassenen Dodd-Frank-Act wieder rückgängig macht. Als systemkritisch gelten seither nur noch Banken mit einer Bilanzsumme von mehr als 250 Milliarden Dollar. Institute, die darunter liegen, dürfen damit wieder im begrenzten Maß Eigenhandel betreiben und müssen sich bei der Kreditvergabe nicht mehr an so strenge Auflagen halten. Auch der jährliche Stresstest bleibt ihnen erspart.
Dass die nächste Krise kommt, gilt freilich als sicher. Anders als in den Jahren 2007 und 2008 lauern die größten Risiken nach Ansicht der meisten Ökonomen und Bankenexperten aber diesmal nicht im Finanzsystem selbst. "Derzeit sind die politischen Risiken viel stärker", sagt Pichler. "Die EU ist ihrem Zusammenhalt bedroht, das Verhältnis mit Russland, China und den USA ist konfliktbeladen und die internationalen Handelsabkommen entwickeln sich nicht nur nicht weiter, sondern es geht sogar in die Gegenrichtung. Das sind alles Dinge, die eher bedrohlich sind."