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"Ein Lichtstrahl in der Dunkelheit"

Von Lutz Lischka

Politik

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"Der Vertrag zwischen dem Osten und Westen über den Verzicht auf Kernwaffenversuche in der Atmosphäre und unter Wasser ist eines der größten, vielleicht das größte Ereignis in der Weltgeschichte..." Mit diesen Worten richtete Albert Schweitzer, Theologe, Philosoph, Friedensnobelpreisträger 1952, seinen emotionalen Dank an Amerikas Präsident Kennedy.

Am 5. August 1963, heute vor 40 Jahren, unterzeichneten die USA, die Sowjetunion und Großbritannien in Moskau einen Vertrag über die Einstellung von Atombombenversuchen. Ein entscheidender Schritt heraus aus dem Waffengerassel der Supermächte war getan, oder in Albert Schweitzers Worten: "Ein Lichtstrahl in der Dunkelheit."

Bedrohung der Menschheit

Die Dunkelheit, in die Atomblitze leuchteten und die Erdatmosphäre verseuchten, an denen sich das nukleare Gleichgewicht des Schreckens zu einer Bedrohung der Menschheit empor hantelte, hatte erschreckende Ausmaße angenommen. Bis zum Tod Albert Schweitzers Ende 1965 führten fünf Staaten insgesamt 646 Kernwaffenversuche durch, davon 403 die USA, 200 die UdSSR, 25 Großbritannien, 16 Frankreich und zwei China

Die Großmächte mit Ausnahme Frankreichs hatten sich schon im Oktober 1958 auf ein Teststopp-Moratorium geeinigt, innerhalb dessen ein endgültiges Verbot der Kernwaffenversuche ausgehandelt werden sollte. Dass jedoch Ost und West weit davon entfernt waren, ihr nukleares Lieblingsspielzeug aufzugeben, zeigten die Gespräche zwischen US-Präsident John F. Kennedy und Russlands Ministerpräsidenten Nikita S. Chruschtschow am 3. und 4. Juni in der Wiener UdSSR-Botschaft. Chruschtschow beharrte darauf, den Versuchsstopp als Teil einer "allgemeinen und vollständigen Abrüstung" zu sehen, Kennedy wollte das wegen der vorauszusehenden Dauer der Verhandlungen ausklammern.

Chruschtschow: "Wenn wir offen sprechen wollen, so hat das Verbot der Kernwaffenversuche an und für sich keine große Bedeutung für die Gewährleistung der Sicherheit der Völker. Unsere Länder würden trotzdem fortfahren, Bomben und Raketen zu produzieren. Aber die Menschen wollen doch, dass die Kriesgefahr überhaupt gebannt wird." Kennedy: "Ich bin mit Ihnen in der Beziehung einverstanden, Herr Vorsitzender, dass ein Abkommen über die Einstellung der Tests an und für sich noch nicht die Menge der Kernwaffen verringert... Der Abschluss eines solchen Abkommens würde aber die Möglichkeit einer Ausdehnung des Kernwaffenbesitzes auf andere Länder in Folge des Drucks der öffentlichen Meinung verringern. Wenn jedoch kein Abkommen über die Einstellung der Kernwaffenversuche erreicht wird, so werden wir in fünf bis zehn Jahren zehn, vielleicht auch fünfzehn Länder haben, die eine Atomwaffenproduktion aufbauen und folglich selbst die Möglichkeit haben werden, den Erdball in die Luft zu sprengen."

Die Wiener Gespräche verliefen ergebnislos, die UdSSR kündigte im August 1961 neue Tests an, Amerika folgte. Eine internationale Protestwelle hagelte darauf auf die beiden Regierungen ein.

Linus Pauling, amerikanischer Nobelpreisträger, übergab noch im August 1961 der Presse eine Erklärung: "Die jetzt vorhandenen Kernwaffenvorräte sind groß genug, um unsere Zivilisation zu zerstören und vielleicht sogar die menschliche Rasse auszurotten. Es gibt keinen Weg, den Krieg zwischen Großmächten auf die Anwendung kleiner Kernwaffen zu begrenzen, wenn große Atombomben existieren und wenn die großen Regierungen in ihrem Militarismus ungezügelt sind."

In einem Telegramm an Chruschtschow schrieb Pauling: "Als Sprecher für 11.000 Wissenschaftler aus 50 Ländern, darunter 216 führenden sowjetischen Wissenschaftlern, die vor vier Jahren die Petition an die UNO gegen Atombombenversuche unterzeichnet haben, und auch im Namen der gesamten Menschheit und der noch ungeborenen Kinder, die durch radioaktiven Abfall zu Schaden kommen werden, fordere ich Sie dringend auf, die neue Serie von Atombombenversuchen und die angekündigte Erweiterung des Kernwaffenarsenals der Sowjetunion einzustellen."

Im April 1962 richteten führende internationale Atomgegner, darunter Schweitzer, Pauling und der britische Nobelpreisträger Lord Bertrand Russell, über die Presse einen Aufruf an die Großmächte: "Nach unserer Überzeugung kann es keinerlei Rechtfertigung für die weitere radioaktive Verseuchung der Welt mit kaum heilbaren gesundheitsgefährdenden Folgen für die Menschen aller Nationen geben. Das Bestreben der Militärstaaten, unter Missachtung der UNO-Charta und der Menschenrechte immer verheerendere Massenvernichtungsmittel zu entwickeln und diese bereits in Friedenszeiten unter Verletzung der Souveränität atomwaffenfreier Staaten entgegen einem ausdrücklichen Beschluss der UNO-Vollversammlung zu erproben, führt zur Auflösung der zwischenstaatlichen Ordnung und der menschlichen Gesittung. Unterlasst jeden weiteren Kernwaffenversuch!"

Und Albert Schweitzer machte im gleichen Monat US-Präsident Kennedy aufmerksam, dass er durch die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung auf das menschliche Erbgut selbst betroffen sei. "Es war für mich nicht leicht, Ihre Aufmerksamkeit auf die große Verantwortung zu ziehen, die Sie gegenüber künftigen Generationen haben. Bitte, vergeben Sie mir. Ich konnte nicht anders handeln, nicht nur der Menschheit zu Liebe, sondern auch aus Überlegungen Ihnen gegenüber."

Kuba-Krise als Faktor

Mehr als die Proteste der Weltöffentlichkeit dürfte die Kubakrise im Oktober des gleichen Jahres ein Umdenken in den Regierungen der Großmächte bewirkt haben. Bei der Konfrontation mit Raketenteilen beladener russischer Schiffe vor der Küste Kubas mit amerikanischen Kriegsschiffen "waren wir nahe am Abgrund", wie Nikita Chruschtschow später in seinen Memoiren festhielt. Im Hintergrund des offiziellen Kriegsgeschreis und Waffengerassels zog die UdSSR mehrere tausend Truppen von Kuba ab, eine Hotline wurde zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml installiert, und im Juni 1963 akzeptierte Chruschtschow einen britisch-amerikanischen Vorschlag zum Verbot der Kernwaffentests.