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Brasilien steckt tief in der Rezession, die Arbeitslosigkeit schießt in die Höhe. Rousseff musste den Preis dafür zahlen.
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Wien/Brasilia. Das Votum ist vorbei, die Schlacht ist geschlagen: Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff wurde am Mittwoch Abend endgültig ihres Amtes enthoben. Sie hat einen langen, kräfteraubenden Machtkampf verloren. 61 Senatoren sprachen sich gegen sie aus, das reichte. Ihr Nachfolger ist Michel Temer, bisher Vizepräsident, der das Land mit einer liberal-konservativen Regierung bis 2018 führen will. Er wurde gleich nach der Amtsenthebung angelobt.
Dass Rousseff auch in der brasilianischen Bevölkerung keinen Rückhalt mehr hatte, ist Folge der wirtschaftlichen Schieflage, in der sich das Land befindet. Der Ex-Präsidentin und ihrem Amtsvorgänger Lula da Silva ist es unbestritten zu verdanken, dass viele mittellose Brasilianer in die untere Mittelschicht aufgestiegen sind, das Land ist sozial gerechter geworden. Doch nach 13 Jahren an der Macht ist der linken Arbeiterpartei das wirtschaftspolitische Ruder entglitten. Abseits gigantischer Korruptionsskandale ist Brasilien in eine Rezession geschlittert, aus der es so schnell kein Entrinnen gibt.
Die Arbeitslosigkeit hat sich auf über 11 Prozent fast verdoppelt. Im Jahresvergleich 2015 und 2016 sind 1,5 Millionen Jobs einfach verloren gegangen. Im Vorjahr ist die Wirtschaftsleistung um 3,8 Prozent eingebrochen, für 2016 wird ein ähnliches Minus erwartet. Brasilien war zuletzt die siebentgrößte Volkswirtschaft der Welt, hat aber durch den ökonomischen Einbruch und einen Kursrutsch beim Real Plätze verloren und muss jetzt um einen Platz unter den Top Ten bangen.
Brasilien pumpte zehn Milliarden Euro in Sportstätten und Infrastrukturprojekte, um eine tadellose Olympiade zu präsentieren - jetzt ist Rio de facto pleite. Es gibt kaum noch Geld für Lehrer, Ärzte, Feuerwehrleute oder Polizisten. Schon seit Monaten werden dutzende Schulen von Schülern besetzt, die dafür kämpfen, dass die Lehrer ihre Löhne erhalten und unterrichten. Aufgrund leerer Staatskassen mussten im vergangenen Jahr mehrere Krankenhäuser schließen, an einigen Kliniken kommt es zu Engpässen bei Medikamenten und Spritzen. Dazu kommt eine fast zweistellige Inflationsrate.
Mehr Wettbewerb undMarktwirtschaft
Dafür hat Rousseff die Rechnung präsentiert bekommen. Dass sie angeblich Haushaltszahlen geschönt hat, ist reines Mittel zum Zweck. In Wirklichkeit ging es in den langwierigen Absetzungsverfahren um das ganze politische Projekt Rousseffs, Lulas und der Arbeiterpartei PT. Das ist gescheitert. Viele Brasilianer haben die Nase voll vom (gemäßigten) Sozialismus und suchen ihr Heil wieder in Marktwirtschaft, Wettbewerb und in Privatisierungen.
All das hat Rousseffs ehemaliger Vize Michel Temer im Programm. Das Interessante ist, dass er noch viel unbeliebter als Rousseff ist. Man liebt den Verrat, doch nicht den Verräter, heißt es - der Fall Temer belegt das. Im Vergleich zu ihm sei Judas nur ein Anfänger, schrieb auch der britische "Guardian". Als die Korruptionsermittlungen gegen Rousseff begannen, witterte Temer seine Chance. Zuvor war er noch enger Verbündeter Rousseffs gewesen. Tatsache ist, dass weder Frauen noch Schwarze in Temers Regierung sitzen, dafür hat er eine Ehefrau, die 43 Jahre jünger und ehemalige Schönheitskönigin ist. Gäbe es jetzt Präsidentschaftswahlen, käme Temer auf kaum mehr als zwei Prozent. Als er die Sommerspiele eröffnete, wurde er schallend ausgepfiffen.
Doch auch Rousseff war in der Vergangenheit nie ein großer Sympathieträger. Bei den Wahlen 2010 war sie zunächst weit abgeschlagen hinter ihrem konservativen Gegner gelegen, erst die Popularität Lula da Silvas, der sich für sie in die Bresche warf, konnte das Blatt wenden.