Die Abwehrspieler sind bei großen Turnieren und Auszeichnungen oft unterbewertet. Zu Unrecht, wie der Deutschen liebster Nachbar zeigt.
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Freilich ist es es noch viel zu früh, vorherzusagen, wie diese Europameisterschaft in Erinnerung bleiben wird, ob sie in irgendeiner Form stilprägend oder sinnbildlich für den aktuellen Fußball und dessen Entwicklung stehen wird. Doch zumindest eines haben die bisherigen Spiele gezeigt: Wie am Fließband fallen die Tore nicht gerade, knappe Ergebnisse sind die Regel. Nach dem offensiv ausgerichteten Tiqui-Taca der Europameisterschaften 2008 und 2012 sowie der Weltmeisterschaft 2010 und dem schnellen Umschaltspiel mit daraus resultiarenden Treffern, das die WM 2014 geprägt hat, ist diesmal also auch wieder Verteidigung Trumpf. Doch wer sich jetzt schon die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und eine griechische Tragödie à la 2004 befürchtet, der kann beruhigt sein. Heute reicht es nicht mehr, als Defensive Mauern aufzubauen, gegnerische Angriffsreihen zu zerstören, zu kämpfen und zu grätschen. Vielmehr muss ein guter Verteidiger auch ein guter Fußballspieler sein, in Wahrheit muss er auch der erste Offensivspieler sein (und vice versa). Die interessanten Spiele kommen dann ganz von allein, gesehen ausgerechnet auch bei der ersten Nullnummer der EM, dem torlosen Remis zwischen Deutschland und Polen am Donnerstag. Denn von Fadesse war keine Spur, was selbst in der deutschen Eigenkritik ein bisschen unterging. "Im Spiel nach vorne haben wir wenige Lösungen gefunden, uns durchzukombinieren", meinte etwa der - naturgemäß - enttäuschte Teamchef Jogi Löw. Noch drastischer formulierte es Jérôme Boateng: "Vorne gewinnen wir kein Eins-zu-eins-Duell. Das muss sich ändern, sonst kommen wir nicht weit", schimpfte er. Dabei hätte Boateng allen Grund, auf seine eigene Leistung stolz zu sein. Nach seiner spektakulären Rettungsaktion im Auftaktspiel gegen die Ukraine (2:0) erwies er sich gegen die Polen nicht nur als der Deutschen liebster Nachbar, sondern als bester Mann auf dem Platz, wurde auch als solcher von der Uefa ausgezeichnet und sorgte so auch für eine Anerkennung für seine Zunft. Bei den größeren Titeln ist die nämlich oft unterbelichtet. Schlag nach bei den jüngsten Turnieren, deren offiziell gekürte beste Spieler stets Angreifer oder Mittelfeldspieler waren: Lionel Messi bei der WM 2014 (auch wenn’s eher ein Trostpreis war), Andrés Iniesta bei der EM 2012, Diego Forlán bei der WM 2010, Xavi bei der EM 2008, Zinédine Zidane bei der WM 2006; ja selbst der 2004 geehrte Theodoros Zagorakis war kein klassischer Verteidiger (obwohl bei den Griechen eigentlich eh fast alle so spielten, als ob). Die goldenen Bälle für den Weltfußballer sind ohnehin von Messi und Cristiano Ronaldo abonniert. Dass dieser sich beim 1:1 gegen Island nicht wie bei Real üblich in Szene setzen konnte, wurmte ihn übrigens enorm, er beschwerte sich sinngemäß darüber, dass die Isländer verteidigt, verteidigt und nochmal verteidigt hätten, und wetterte, dass man so doch nichts gewinnen könne. Aber vielleicht irrt Ronaldo ja. Vielleicht kommen bei der Euro ja wirklich auch einmal die Abwehrspieler zu ihren Ehren. Boateng hat sich schon einmal beworben, ein Österreicher hingegen noch nicht. Zeit, etwas dagegen zu unternehmen (die Absenz von Aleksandar Dragovic darf keine Ausrede sein). Und wenn’s nur ist, um Ronaldo zu ärgern.