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Erster friedlicher Machtübergang in der jüngeren Geschichte Georgiens.
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Tiflis. Lascha Nazwlischwili ist drin, wieder zurück im georgischen Parlament, nach vier Jahren. "Ein Traum", wie er sagt. Endlich könne er sich am Bau eines "ausbalancierten politischen Feldes" beteiligen, endlich dafür sorgen, dass die Bürgerrechte als solche auch wahrgenommen würden. So sitzt der 46-jährige Jurist und einstiger Berater im Nationalen Sicherheitsrat von Georgien in seiner Arbeitsecke der Parteizentrale "Georgischer Traum" in der Altstadt von Tiflis und philosophiert über das Wesen des Menschen.
Geschlafen habe er kaum, aber was ist schon Schlaf gegen einen "historischen Tag für Georgien"? So sprechen alle neuen Abgeordneten, so spricht auch ihr großer Gönner am Tag nach der Parlamentswahl. Für ihn sind sie in den politischen Kampf gezogen, einen hochemotional geführten und schmutzigen Wahlkampf, der teils Bizarres und Schockierendes ans Licht brachte. Mit ihm strahlen sie nun. Wie auch immer die Sitzverteilung ausfällt - 73 von 150 Abgeordnetenmandaten werden per Direktwahl vergeben, 77 über landesweite Parteilisten -, eines ist bereits jetzt sicher: Der Machtwechsel ist da. Nach Auszählung von gut einem Viertel der Wahlzettel lag "Georgischer Traum" bei mehr als 50 Prozent, wie die Zentrale Wahlkommission am Dienstag mitteilte. Die "Vereinigte Nationale Bewegung" des Präsidenten Michail Saakaschwili kam auf 41,5 Prozent. "Die Lügenideologie hat ein Ende", sagt Nazwlischwili.
Plötzlich geht ein Schrei durch die Parteizentrale, der Präsident ist gerade vor die Fernsehkameras getreten und hat mit dem Satz "Die Demokratie hat gewonnen" seine Niederlage eingestanden. Das ist überraschend, aber tatsächlich historisch für das kleine Land im Südkaukasus und zeigt, wie sehr das Volk den Weg westlich verstandener Demokratiewerte bereits gegangen ist. Noch nie in der jungen Geschichte des unabhängigen Georgiens ist es zu einem Machtwechsel durch eine Wahl gekommen. Eine friedliche Übergabe, ohne Einsatz der Polizei, ohne Stürmung des Parlaments. Die Wähler hatten den mehr und mehr autoritär regierenden Saakaschwili nach fast neun Jahren satt und stimmten für den Wandel. Und er, der einst als dynamischer Held der umjubelten Rosenrevolution, er, den sie alle nur "Mischa" nennen, kann mit seinem Rückzug sein Vermächtnis eines liberalen Reformers, als der er angetreten war, wahren. Auch wenn diese Reformen viele in der Bevölkerung zurückgelassen haben. "Ein anständiger Politiker, der zeigt, dass man mit ihm zusammenarbeiten kann", bezeichnet selbst der "Träumer" Nazwlischwili die Worte des Präsidenten. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) lobte gestern die Wahl als demokratisch und frei, auch wenn sie eine Atmosphäre der Einschüchterung beklagte.

Opposition fordert Rücktritt von Saakaschwili
Zwar verliert der Präsident erst in einem Jahr seine starken Befugnisse, wenn sich das Land nach einer bereits beschlossenen Verfassungsreform in eine parlamentarische Republik wandeln soll, geschwächt ist Saakaschwili aber bereits jetzt. Dass er nach zwei Amtszeiten als Präsident Premier werden kann, wie von seinen Anhängern lanciert, ist wenig wahrscheinlich. Sein Ansehen im Volk hat er mit seinem Herrscherstil längst eingebüßt. Für den milliardenschweren Oppositionsführer Bidsina Iwanischwili kann Saakaschwilis politischer Abgang nicht schnell genug gehen. Er forderte den Präsidenten noch am Abend zum Rücktritt auf. Nachdem Saakaschwili seine Niederlage anerkannt habe, müsse er nun den nächsten Schritt setzen, sagte der Wahlsieger, der zugleich eine Vorverlegung der für Herbst 2013 geplanten Präsidentenwahl verlangte, da es sonst "viele Probleme geben" werde. Ob Iwanischwili es bis dahin schaffen wird, sein eigenes, bunt zusammengewürfeltes Sechs-Parteien-Bündnis zusammenzuhalten, wird sich erst noch weisen. Die Euphorie des Sieges dürfte jedenfalls schnell der Ernüchterung weichen. Dann erst wird sich zeigen, ob die Georgier tatsächlich nicht mehr das Heil bei einem einzigen Chef suchen, der ihnen sagen soll, wo es lang geht, sondern viele Diener gewählt haben, die die Interessen des Volkes wahren.