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Ein Manifest für Frieden sollte anders aussehen

Von Constantin Lager

Gastkommentare

Wer ein Ende der Waffenlieferungen für die Ukraine fordert, hat womöglich ein falsches Bild von den Hintergründen des Krieges.


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Fast ein Jahr tobt nun ein schrecklicher Krieg an der europäischen Außengrenze. Täglich erreichen uns Bilder und Nachrichten von unmenschlichem Leid und zerstörten Ortschaften. Die hohe Inflation und die gestiegenen Energiepreise machen den Krieg in der Ukraine auch für uns in der EU spürbar. Wer sehnt sich in solch einer Situation nicht nach Ruhe, Stabilität und Frieden? Alice Schwarzers und Sahra Wagenknechts jüngstes Manifest für Frieden kann als Ausdruck dieser Sehnsucht gelesen werden. Es geht jedoch am Ziel vorbei, und ihre Argumentationslinie ist Ausdruck eines höchst irritierenden und destruktiven Verständnisses von Wladimir Putins Angriffskrieges und wie diesem zu begegnen ist.

Frieden durch Selbstaufgabe?

Einerseits irritiert die Vorstellung, ein Ende der Waffenlieferungen könne Frieden schaffen. Ein Ende der Waffenlieferungen schafft keinen Frieden, es verunmöglicht höchstens die Fähigkeit der Ukraine, sich selbst zu verteidigen, denn dafür ist die Ukraine auf westliche Unterstützung angewiesen. Ohne diese würde die Ukraine wohl schon lange nicht mehr existieren. Andererseits irritiert auch die Vorstellung, die in diesem Manifest mitschwingt, Frieden mit einem Putin-Russland sei überhaupt noch möglich. Denn ein Frieden, um nachhaltig zu sein, muss von den Konfliktparteien als gerecht empfunden werden.

Voraussetzung ist ein Prozess der Ver- und Aussöhnung, des Aufarbeitens von verursachtem Leid und Trauma, aber auch das Anerkennen der eigenen Schuld (in diesem Fall der Schuld Russlands). Es ist nur schwer vorstellbar, dass dies mit Putin, der immer noch imperialistisch- großrussische Ansprüche verfolgt, möglich ist. Frieden im eigentlichen Sinne kann es nur mit einem Post-Putin-Russland geben. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Waffenstillstandsabkommen oder Gespräche geben kann oder soll.

"Verhandeln heißt nicht kapitulieren", schreiben Schwarzer und Wagenknecht und weiter: "Verhandeln heißt Kompromisse machen, auf beiden Seiten." Ein Kompromiss setzt jedoch voraus, dass beide Konfliktparteien ein legitimes Interesse an einer Sache haben, die gegnerische Position verstehen, vielleicht zum Teil sogar achten können und zur Aufgabe ihrer Maximalforderungen bereit sind. Im Falle des Ukraine-Krieges hat jedoch nur die Ukraine selbst ein legitimes Interesse daran, ihre territoriale Integrität zu wahren, und nicht Putin, der diese gefährdet. "Zwischen Existenz und Nicht-Existenz gibt es keinen Kompromiss", meint der Osteuropa-Experte Wolfgang Müller passend dazu.

Falsche Grundannahmen

Ein Manifest für Frieden müsste eigentlich mit einem beherzten Aufruf beginnen, dass der Aggressor Russland seine Waffen niederlegen und seine Besatzung (zumindest in jenen Gebieten, die seit dem Februar 2022 besetzt wurden) beenden muss. Kein Wort findet sich jedoch in diese Richtung. Grund dafür sind falsche Annahmen über die Hintergründe dieses Krieges. Wagenknecht und auch Schwarzer glaubten in der Vergangenheit immer wieder, die Nato-Osterweiterung als Grund für den schon lange andauernden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine erkannt zu haben.

Nun wird sich wohl, sollten die Türkei und Ungarn es nicht verhindern, mit einem Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands die Nato-Grenze zu Russland verdoppeln. Dass sich Schweden und Finnland bei einem großflächigen Angriff auf die Ukraine der Nato stärker zuwenden würden, war absehbar, auch für Putin. Das Argument, die Nato-Osterweiterung wäre Grund oder Auslöser des russischen Angriffskrieges, greift somit ins Leere. Nur eine solche falsche Grundannahme kann dazu führen, dass ein Ende der Waffenlieferungen und eine damit verbundene Selbstaufgabe der Ukraine gefordert werden. Der Hintergrund des russischen Angriffskrieges ist ein faschistisch- imperialistischer, an dessen Ende ein Großrussland stehen soll. Wird der Versuch, ein solches Großrussland zu errichten, nicht in der Ukraine gestoppt, dann könnte es auch Moldawien oder das Baltikum treffen.

Mad-Man-Strategie

Die im Manifest für Frieden angesprochene Gefahr einer atomaren Entgleisung ist eine reale und darf nicht unbedacht bleiben. Speziell bei Rückeroberungsversuchen der Krim seitens der Ukraine, wie einige Sicherheitsexperten argumentieren, könnte Putin in einer Situation der militärischen Schwäche taktische Atombomben einsetzen. Aus diesem Grund gestaltet sich die militärische Unterstützung für die Ukraine sehr behutsam und langsam. So wurden etwa die von den USA gelieferten Raketen mit einer Reichweite von ursprünglich mehreren hundert Kilometern auf 75 Kilometer gedrosselt.

Die Gefahr eines Atomschlags in Europa bei einer drohenden Niederlage Putins ist real. Real ist aber auch die Gefahr, die entsteht, wenn wir uns erfolgreich von der Drohkulisse, von dieser Mad-Man-Strategie, einschüchtern und erpressen lassen. Welches Signal würden wir in die Welt senden, wenn es lediglich eine glaubwürdige Drohung eines scheinbar irrationalen Autokraten bräuchte, um jegliche Ziele zu erreichen? In solch einer Situation würde die Gefahr einer atomaren Eskalation steigen.