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"Es ist alles so schön". Das sollen die letzten bewussten Worte von Kardinal Franz König gewesen sein, bevor er in der Nacht auf Samstag, den 13. März 2004, sanft aus diesem Leben schlummerte. Obwohl man bei einem im 99. Lebensjahr stehenden Menschen jederzeit darauf gefasst sein musste, bekamen viele Menschen nasse Augen, als sie die Nachricht vom Tod des allseits geschätzten Wiener Alterzbischofs vernahmen. Österreich hat eine Autorität, die nie autoritär auftrat, eine moralische Instanz, die nie moralisierte, verloren.
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Franz König war einerseits ein Intellektueller von Rang, der sich auf höchstem Niveau mit den schwierigsten Fragen der Wissenschaft, des Glaubens und auch der Politik auseinandersetzte. Auf der anderen Seite verlor er aber nie die Bereitschaft, mit einfachen Menschen zu sprechen und sich in ihre Probleme hineinzudenken. Das mag dazu beigetragen haben, dass 1968 unter seiner Federführung die "Maria Troster Erklärung" der Österreichischen Bischofskonferenz entstand. Deren Verweis auf das persönliche Gewissen half vielen Katholikinnen und Katholiken mit der umstrittenen päpstlichen Enzyklika "Humanae vitae" und ihrem Verbot sogenannter künstlicher Methoden der Empfängnisverhütung zu leben.
Für ein möglichst großes Europa
Die Bodenhaftung hat der am 3. August 1905 in Warth bei Rabenstein an der Pielach (Niederösterreich) geborene älteste Sohn einer Bauernfamilie nie verloren. Seine Begabungen wurden früh erkannt, er durfte das Melker Stiftsgymnasium besuchen, wo er 1927 mit Auszeichnung maturierte, und dann in Rom studieren: Philosophie und Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana, sowie altpersische Religion und Sprachen an der Orientalistischen Fakultät des Päpstlichen Bibelinstitutes. Der wissbegierige junge Mann erwarb 1930 das Doktorat der Philosophie, am 29. Oktober 1933 wurde er in Rom zum Priester geweiht. Während er bereits in seiner Heimatdiözese St. Pölten als Kaplan wirkte, wurde er 1936 noch zum Doktor der Theologie promoviert. Später hat er 13 Ehrendoktorate erhalten, das letzte erst am 18. Februar 2004 von der rumänischen Universität Klausenburg. "Europa ist mehr als die EU", unterstrich König bei diesem, seinem letzten, großen öffentlichen Auftreten. Das Zusammenwachsen ganz Europas war ihm nicht nur aus politischen, sondern vor allem auch aus kulturell-spirituellen Gründen ein großes Anliegen.
Motor im Dialog Kirche-Wissenschaft
1938 wurde König Domkurat in St. Pölten und Jugendseelsorger der Diözese, 1945 Religionsprofessor in Krems. König bewährte sich dank seiner Russischkenntnisse auch in der Kriegsgefangenenseelsorge und in der Besatzungszeit. In dieser Zeit machte er sich auch als Wissenschaftler einen Namen. Er habilitierte sich 1946 in Wien als Privatdozent für Religionswissenschaften und befasste sich vergleichend mit dem Alten Testament und der Ideenwelt des Zarathustra. 1948 wurde er als außerordentlicher Professor für Moraltheologie nach Salzburg berufen. Dort vollendete er das dreibändige Standardwerk "Christus und die Religionen der Erde", das viele Auflagen erlebte. 1956 erschien sein "Religionswissenschaftliches Wörterbuch". Fragen von Glauben und Wissenschaft beschäftigten Franz König zeitlebens. 1968 hielt er in Lindau vor Nobelpreisträgern einen vielbeachteten Vortrag über den - inzwischen von der Kirche rehabilitierten - Naturforscher Galileo Galilei.
Bischof ohne Berührungsängste
Papst Pius XII. ernannte Franz König 1952 zum Titularbischof von Livias und Koadjutor des St. Pöltner Bischofs Michael Memelauer. Damit war das Recht der Nachfolge in St. Pölten verbunden, doch nach dem Tod von Kardinal Theodor Innitzer berief Rom König nach Wien, wo er am 17. Juni 1956 als Erzbischof inthronisiert wurde. Seinem Wahlspruch "Die Wahrheit in Liebe tun" entsprach voll und ganz sein Handeln während seiner langen Amtszeit, die am 16. September 1985 mit der päpstlichen Annahme seines Rücktrittsgesuches endete.
Königs Trachten galt dem Überwinden alter Gräben, der Versöhnung und Vertrauensbildung zwischen den politischen Lagern - kein Wunder, dass er oft als Brückenbauer gewürdigt wurde. Aus Wahlkämpfen hielt sich die Kirche zwar völlig heraus, aber das Wort von der "Äquidistanz zu den Parteien" wies König zurück: Der Abstand zu den politischen Parteien sei sicher nicht in allen Fragen gleich und hänge nicht nur von der Kirche, sondern von beiden Seiten ab.
Franz König machte Ernst mit einer den Menschen nachgehenden Seelsorge, besuchte viele Pfarren, Schulen und Betriebe und trat unermüdlich für die Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils ein. Ob auf der von ihm einberufenen Wiener Diözesansynode (1969-71) oder beim österreichischen synodalen Vorgang (ÖSV, 1973-74), er plädierte für eine "innere Erneuerung" der Kirche und betonte die gemeinsame Verantwortung von Klerikern und Laien. Mit seinen Bemühungen, historische Wunden zwischen Kirche und Sozialdemokratie aufzuarbeiten, handelte sich König im bürgerlichen Lager den Namen "roter Kardinal" ein. Dabei folgte er, etwa als er am 27. Februar 1973 zum Thema "Kirche und Gesellschaft" einen Vortrag vor dem Bundesvorstand des ÖGB hielt, nur den Spuren seines Herrn und Meisters, der bekanntlich auch keinerlei Berührungsängste kannte. Vorwürfe aus den eigenen Reihen, König habe zu wenig Stellung gegen die von der SPÖ 1975 eingeführte "Fristenregelung" bezogen, waren haltlos. König setzte sich stets, noch in den letzten Jahren vor allem in der Euthanasie-Thematik, sehr für einen umfassenden Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod ein.
Krönender Höhepunkt seiner Amtszeit war der Papstbesuch im September 1983 zum Abschluss des damaligen Katholikentages. Es ist ein offenes Geheimnis, dass König, der selbst als ernster Papstanwärter im Gespräch war, 1978 entscheidend zur Wahl des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyla zum Papst beitrug.
Impulse für die Weltkirche
Mit Franz König starb der letzte noch von Papst Johannes XXIII. - und zwar am 15. Dezember 1958 - ernannte Kardinal. Auf dem Konzil, zu dem König den Jesuiten Karl Rahner als theologischen Berater mitnahm, setzte König entscheidende Impulse, vor allem bei den Dokumenten über die göttliche Offenbarung, den Ökumenismus und die Religionsfreiheit. In Fragen der Weltkirche betrachtete er bis zuletzt das Verhältnis zwischen der vom Konzil betonten Kollegialität der Bischöfe und dem Primat des Papstes als noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Bis 1981 leitete der Wiener Kardinal das 1965 als Frucht des Konzils gegründete Vatikanische Sekretariat für die Nichtglaubenden und nahm dabei mit Atheisten und Agnostikern in Ost und West Kontakte auf. Vielen Reisen führten ihn hinter den Eisernen Vorhang. Unvergessen sind sein schwerer Autounfall im Jahr 1960 auf dem Weg zum Begräbnis des Zagreber Kardinals Stepinac - ein prägendes Ereignis für sein Engagement in der vatikanischen Ostpolitik - und seine Besuche beim ungarischen Kardinal Mindszenty in dessen Asyl in der Amerikanischen Botschaft in Budapest. Wichtig war König, den Menschen im Osten zu vermitteln, dass man sie im Westen nicht "abgeschrieben" hatte.
Vieles, was in jüngerer Zeit an Annäherung zwischen den christlichen Ostkirchen und der römisch-katholischen Kirche zustande kam, beruht auf Pionierarbeit von Kardinal Franz König. Er besuchte schon 1961 das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Patriarch Athenagoras von Konstantinopel, er suchte auch mehrere andere östliche Kirchenoberhäupter auf. Die heuer ihr 40-jähriges Bestehen feiernde, von ihm gegründete Stiftung "Pro Oriente" wurde zur Drehscheibe für mannigfaltige Kontakte und Gespräche auf diesem Gebiet. König gab aber auch dem Dialog mit den nichtchristlichen Religionen wichtige Impulse. Schon 1965 referierte er auf Einladung des dortigen Rektors an der islamischen Al-Azhar Universität in Kairo über das gemeinsame Anliegen der monotheistischen Religionen gegenüber dem Atheismus.
Ein überreiches Lebenswerk
Zahlreiche Bücher sind über und von Kardinal König erschienen, zuletzt eines von Hubert Feichtlbauer, das ihn zu Recht als "Jahrhundertkardinal" apostrophierte. Kardinal Franz König, dem für sein überreiches Lebenswerk zahlreiche Ehrungen zuteil wurden, ist stets ein zutiefst bescheidener und freundlicher Mensch geblieben. Seine positive Ausstrahlung beruhte darauf, dass er im Sinne des Ignatius von Loyola abweichende Meinungen "zu retten versuchte", indem er sich mit den Überzeugungen des Andersdenkenden ernsthaft auseinandersetzte. Natürlich verlieh ihm sein hohes Alter, das er auch einem sehr disziplinierten Lebensstil verdankte, noch einen besonderen Nimbus der Weisheit und der moralischen Autorität. Doch wer es wahrhaben wollte, konnte schon viel früher in ihm einen Kirchenmann, Österreicher und Menschen mit größten Qualitäten erkennen. Kardinal Franz König blickte immer zuversichtlich in die Zukunft und trat noch bei seinem 50-Jahr-Bischofsjubiläum im Herbst 2002 eindringlich gegen Ängstlichkeit und Mutlosigkeit auf. Er wird uns sehr fehlen.