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Ein Markt mit vielen Missverständnissen

Von Richard Kaye

Gastkommentare

Investoren sollten japanische Unternehmen nicht unterschätzen.


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Die Augen der Weltöffentlichkeit dürften in den kommenden Wochen einmal mehr auf Japan gerichtet sein, wo gerade die 32. Olympischen Spiele der Neuzeit ausgetragen werden. Während diese aus Präventionsgründen ohne Zuschauer stattfinden, um eine weitere Verbreitung von Covid-19 im Land zu verhindern, gewinnt der fernöstliche Inselstaat vor allem bei Investoren wieder an Attraktivität. Lange Zeit herrschte in Japan wirtschaftliche Flaute, und attraktive Entwicklungen ließen in den vergangenen Jahrzehnten auf sich warten. Doch nun ist in Japan auch am Börsenhorizont Licht in Sicht - wenn Investoren genauer hinsehen und sich nicht vom Blick auf die Indizes abschrecken lassen.

Vor ziemlich genau 150 Jahren, am 27. Juni 1871, trat in Japan die "Neue Währungsordnung" in Kraft. Diese legte den Grundstein für das moderne Währungssystem und stellte den Yen in den Mittelpunkt. Seit diesem historischen Meilenstein ist viel passiert, und der Inselstaat wandelt sich zunehmend zu einem fruchtbaren Boden für Wachstumsinvestoren. Japan ist mittlerweile die drittgrößte Volkswirtschaft. Ein Drittel der gelisteten Unternehmen in Japan ist auf die eine oder andere Art familiengeführt. Damit einher geht ein generationsübergreifendes Handeln, was für langfristig orientierte Investoren ein großes Plus ist.

Zudem ist der japanische Aktienmarkt mit mehr als 3.700 gelisteten Aktien einer der größten der Welt. Das sind mehr Aktien als an den Börsen von Shenzen und Shanghai in China, die seit der Marktöffnung für ausländische Investoren zu den neuen Börsenstars gehören. Dennoch interessieren sich institutionelle Investoren kaum für den japanischen Aktienmarkt. Wenn überhaupt, erwägen viele lediglich, in ein passives Instrument zu investieren, um das Benchmark-Risiko abzusichern. In Anbetracht der Entwicklung des japanischen Aktienindexes Nikkei bis zur globalen Finanzkrise ist diese Vorsicht nachvollziehbar. Wenn man allerdings ein Auge auf das hohe Alpha-Potenzial wirft, das Japan für Wachstumsinvestoren bietet, zeigt sich ein anderes Bild.

Der erste Blick täuscht

Der Top-Down-Blick auf Japan hält viele Investoren davon ab, im Land der aufgehenden Sonne zu investieren. Die Schuldenlast ist hoch, die Bevölkerung wird älter, eine deflationäre Spirale hat die Binnenwirtschaft über Jahrzehnte gebremst, und die starke Währung setzt der Profitabilität vieler exportorientierter Unternehmen zu. Kurzum: Das Desinteresse am japanischen Aktienmarkt fand nach zwei Jahrzehnten Baisse in der globalen Finanzmarktkrise seinen Höhepunkt, als selbst einheimische institutionelle Investoren dem eigenen Aktienmarkt den Rücken kehrten und nur noch 25 Prozent der japanischen Marktkapitalisierung hielten.

Ein Blick hinter die Fassade lohnt sich allerdings, denn das Bottom-up-Zeugnis für japanische Unternehmen fällt viel besser aus. Mit einem aktiven Investmentansatz lassen sich die oben genannten Herausforderungen umgehen - indem nicht ein Bruchteil der wachstumsschwachen Volkswirtschaft gekauft wird, sondern dynamisch wachsende Einzelunternehmen. So ist es möglich, die vielen Value-Fallen, wie etwa den wachstumsschwachen und sich in einer Strukturkrise befindlichen Bankensektor, zu umgehen.

Eine selektive Aktienauswahl erlaubt es zudem, von der Informationsineffizienz des japanischen Aktienmarkts zu profitieren. Denn in Japan wird jede Aktie im Schnitt von sieben Analysten verfolgt, im Vergleich zu mehr als 40 Analysten pro Aktie in den USA. Bei den Aktivitäten in Bezug auf ESG (Environment, Social, Governance) haftet japanischen Unternehmen der Ruf an, hinter ihren globalen Mitbewerbern hinterherzuhinken. Jedoch sind gerade bei Umwelttechnologien viele Betriebe dem Rest der Welt voraus.

Zudem sehen wir häufig tiefe Verbundenheit zur jeweiligen Vision und ein Engagement für den sozialen Zweck. Dieses Bild ist allerdings aufgrund der Komplexität des Marktes nicht durch standardisierte Verfahren von kurzfristigen Investoren erfassbar. Für japanische Unternehmen stellt es oft eine Herausforderung dar, jene Informationen zur Verfügung zu stellen, die von institutionellen Investoren gefordert würden, und es gibt nicht genügend qualitativ hochwertiges Research, um diese Lücken in der Transparenz zu füllen.

Unbekannte Stars

Für Wachstumsinvestoren bietet Japan eine Vielfalt an vernachlässigten Nebenwerten, die allerdings den Weltmarkt dominieren. So ist Hamamatsu Photonics mit 90 Prozent Marktanteil Weltmarktführer für hochlichtsensitive Messgeräte, die Unreinheiten bis zur Größe eines Protons messen können. Solche Unternehmen führen ihren Markt an, können in Yen fakturieren, managen das Währungsrisiko somit auf natürliche Weise, sind innovativ, hochprofitabel und wachstumsstark. Als Exportweltmeister ist japanisches High-Tech-Engineering der Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit vieler chinesischer Unternehmen.

Die Nähe zu China bildet demnach einen wichtigen Wachstumsmotor für japanische Unternehmen. Robotik-Spezialisten wie Fanuc oder Keyence verdanken ihre Expansion gerade der starken Nachfrage nach Industrieautomatisierung in Asien. Aber auch japanische Konsumtitel wie die Fast-Fashion-Modekette Uniqlo oder Klaviere von Yamaha erfreuen sich bei der wachsenden Mittelschicht Chinas reger Nachfrage.

Nihon M&A (Mergers and Acquisitions), Marktführer für Unternehmensberatung in Japan, ist seit der Gründung vor 30 Jahren auf die Nachfolgeberatung von mittelständischen gründergeführten Unternehmen spezialisiert und hat sich durch ein enges Branchennetzwerk starke ökonomische Burggräben aufgebaut. Das Wachstumspotenzial ist durch die große Zahl alternder Firmenchefs ohne natürliche Nachfolger aus der Familie mittel- und langfristig sehr hoch. Nihon M&A hat seine Gewinne pro Aktie über die vergangenen zehn Jahre annualisiert um 30 Prozent gesteigert. Für die kommenden fünf Jahre ist ein Wachstum auf gleicher Höhe als realistisch einzuschätzen.

"Abenomics" als Treiber

Nicht zu vernachlässigen ist bei der Beurteilung japanischer Aktien auch die Wirtschaftspolitik von Ex-Premier Shinzo Abe, auch unter "Abenomics" bekannt. Eine investitionsfreundliche Steuerreform und eine durchgreifende Arbeitsmarktreform führten zu einem massiven Anstieg berufstätiger Frauen sowie einer Immigrationswelle, was der alternden Gesellschaft einen großen Produktivitätsgewinn bescherte. Die Reform der Unternehmensverfassung, die in den "Corporate Governance und Stewardship Code" mündete, brach veraltete Managementstrukturen auf und ebnete den Weg für unabhängige und junge Kompetenz in den Aufsichtsräten, verbesserte die Kapitallokation, verlieh Minderheitsaktionären eine Stimme und hob die schwachen Kapitalrenditen auf internationales Niveau.

So wurde ein Katalysator geschaffen, um den vielen überkapitalisierten japanischen Konglomeraten entgegenzuwirken und das Wachstum von dynamischen Qualitätsunternehmen zu fördern. In so einem breiten und unentdeckten Markt wie Japan ist es eine selektive Vorgehensweise umso wichtiger. So repräsentiere die Unternehmen im Comgest-Portfolio einen winzigen Anteil, weniger als 1 Prozent, der börsennotierten japanischen Aktien. Wir investieren nicht unbedingt in Japan, sondern in Unternehmen, die zufällig ihren Sitz in Japan haben.