Massive Mittel und neuartige Methoden wollen wohlhabende Nationen einsetzen, um syrischen Flüchtlingen im Nahen Osten zu helfen. Milliarden Euro wurden dafür auf der jüngsten Syrien-Geberkonferenz versprochen.
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London/Genf. Die Bereitstellung massiver Mittel für Millionen heimatloser Menschen in Syrien und in den Flüchtlingslagern der angrenzenden Staaten haben am Donnerstag in London dutzende wohlhabende Nationen versprochen. Auch mit neuen Methoden "nachhaltiger" Unterstützung der betreffenden Nahost-Staaten und ihrer Auffanglager hofft man, den Flüchtlingen "vor Ort" unter die Arme zu greifen - und so die Menschenströme nach Europa in Zukunft allmählich einzudämmen.
Allein schon Deutschland, Großbritannien und Norwegen, zusammen mit Kuwait die Hauptinitiatoren der gestrigen vierten "Syrien-Geberkonferenz" an der Themse, versprachen Milliardensummen an Hilfe, gestreckt über die kommenden Jahre. Berlin will dieses Jahr allein 1,2 Milliarden Euro für die Binnenflüchtlinge lockermachen - und bis Ende 2018 noch einmal die gleiche Summe.
London steuert dieses Jahr rund 670 Millionen Euro aus seinem Entwicklungshilfe-Etat bei und denkt an drei Milliarden Euro über fünf Jahre. Die EU als Ganzes stellte drei Milliarden Euro in Aussicht. Für die USA sagte Außenminister John Kerry ebenfalls eine Milliarde Euro zu.
Insgesamt rechnete man bei den Vereinten Nationen gestern mit einem Gesamtbetrag von mehr als neun Milliarden Euro für 2016 durch die 60 Teilnehmerstaaten. Im Vorjahr in Kuwait zeigten sich dieselben Länder noch um einiges zurückhaltender. Damals kam nur die Hälfte der von der UNO erhofften 7 Milliarden Euro zusammen. Zahlreiche Hilfsprogramme mussten in der Folge gestrichen werden.
Diesmal, nicht zuletzt unter dem Eindruck der gewaltigen neuen Flüchtlingsströme nach Europa, haben einzelne Regierungen ihre Beitragsversprechen kräftig aufgestockt und ihre Hilfsprogramme ausgeweitet.
Auf diese Weise, erklärte der britische Premierminister und Konferenz-Gastgeber David Cameron, könne man den Betroffenen vielleicht "so viel Hoffnung machen, dass sie nicht länger glauben, sie hätten keine andere Wahl, als auf einer gefährlichen Reise nach Europa ihr Leben zu riskieren".
Auch die norwegische Regierungschefin Erna Solberg befand, dass mehr Hilfe für die syrische Bevölkerung nicht zuletzt im Interesse Europas liege: "Wenn wir nicht wesentlich mehr in diese Region und in die angrenzenden Länder investieren, werden wir ein noch größeres Problem bekommen, als wir es schon heute haben." Es drehe sich hier auch, sagte Solberg, um nacktes "Selbstinteresse für eine Menge europäischer Staaten".
Die Syrien-Hilfe selbst soll dabei "nachhaltigere" Wirkung haben als früher und sich nicht nur auf unmittelbare humanitäre Unterstützung beschränken. Die meisten Konferenz-Teilnehmer waren sich darin einig, dass Schulen für hunderttausende syrische Flüchtlingskinder gebaut und Arbeitsplätze für Flüchtlinge geschaffen werden müssten.
Spezielle Wirtschaftszonen
Spezielle "Wirtschaftszonen" mit niedrigen Zöllen für Warenexporte nach Europa sollen zum Beispiel in Syrien und seinen Nachbarländern eingerichtet werden. Einen "kühnen neuen Marshall-Plan" für die Region forderte der frühere britische Labour-Premier Gordon Brown.
Der Nachkriegs-Plan könne als "gutes Modell eines aufgeklärten Selbstinteresses" auch für "die größte humanitäre Katastrophe seit 1945" dienen, meinte Brown. Deutschlands Entwicklungsminister Gerd Müller stimmte dieser Idee nachdrücklich zu. Man müsse, sagte Müller, den Flüchtlingen vor allem eines deutlich machen: "Ihr könnt nicht alle zu uns kommen, aber wir kommen zu euch."
Länder wie Jordanien, Libanon und die Türkei sollen künftig besondere Hilfe und Kredite erhalten - 12,5 Milliarden Euro auf fünf Jahre stellt die Europäische Investitionsbank (EIB) bereit. Im Libanon sollen inzwischen über eine Million syrische Flüchtlinge leben, in der Türkei 2,5 Millionen.
In Jordanien sind 630.000 Kriegsvertriebene registriert, doch dürfte die Flüchtlingszahl dort mehr als das Doppelte betragen. Dazu erklärte König Abdullah von Jordanien in London, sein Land könne diese Situation nicht mehr viel länger verkraften: "Früher oder später, befürchte ich, bricht dieser Damm."
Einig waren sich die Teilnehmer der Konferenz freilich auch darin, dass nur eine politische Lösung - ein Ende des Krieges in Syrien - die Lage wirklich ändern könne. Insofern überschattete die Aussetzung der Genfer Friedensgespräche alles Geschehen in London.
UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon bedauerte in diesem Zusammenhang "den noch immer herrschenden Mangel an humanitärem Zugang" infolge neuerlicher Bombardierungen und militärischer Aktionen: "Diese jüngsten politischen Entwicklungen machen unsere heutigen Bemühungen umso dringlicher."
Mahnungen zu Waffenruhe
In das selbe Horn stieß US-Außenminister Kerry. Nicht nur Geld sei nötig, sondern ein Ende des Krieges in Syrien. "Denn die Lage ist dort nicht besser, sondern schlimmer als vor fünf Jahren." Er forderte nach einem Telefonat mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow eine Waffenruhe. Auch Merkel mahnte einen Waffenstillstand ein, damit die unterbrochenen Genfer Friedensgespräche fortgesetzt und Menschen in umkämpften Gegenden versorgt werden könnten. "Da stehen alle in der Verantwortung, vor allem aber auch das Assad-Regime", betonte Merkel mit Blick auf die Regierung von Präsident Bashar al-Assad, die in den vergangenen Tagen mit russischer Unterstützung verstärkt Stellungen der moderaten Opposition angegriffen hatte.
Die syrische Armee durchbrach am Donnerstag die jahrelange Belagerung zweier schiitischer Dörfer bei Aleppo durch die Rebellen. Soldaten und regierungstreue Milizionäre marschierten in die beiden Dörfer Nubol und Sahra ein. Aleppo selbst, die größte Stadt des Landes, ist seit Mitte 2012 zwischen Regierung und Rebellen geteilt. Die Armee, die bei der Offensive von russischen Kampfflugzeugen unterstützt wird, kappte diese Woche die letzte Verbindungsroute der Aufständischen zur türkischen Grenze. Sie sind nun von Norden, Osten und Süden eingeschlossen und haben nur noch eine Verbindung im Nordwesten in Richtung der Provinz Idlib.
Der türkische Premier Ahmet Davutoglu kritisierte, dass die neuen Angriffe die Flüchtlingsbewegungen weiter antrieben. Seit der Offensive der syrischen Regierung bei Aleppo hätten sich bis zu 70.000 Menschen Richtung Norden aufgemacht, um in die Türkei zu fliehen. Von russischer Seite stehen Vorwürfe im Raum, die Türkei bereite eine Bodeninvasion im Norden Syriens vor.
So bleiben Zweifel bestehen, dass Bemühungen wie die in London den noch immer anschwellenden Flüchtlingsstrom nach Europa wirklich bremsen könnten. Vincent Cochetel etwa von der UNO-Flüchtlingsbehörde nannte die Stabilisierungsmaßnahmen gut und nützlich: "Sie können aber kein Ersatz sein für ein properes Management des Menschenstroms nach Europa."
Experten wie Cochetel verlangen koordinierte Maßnahmen zur Massenübersiedlung von Flüchtlingen. Immerhin sei die Zahl der Schutzsuchenden, die im Jänner nach Griechenland kamen, höher als die vom Juli. Kurz- und mittelfristig werde der Flüchtlingsstrom nicht abreißen, warnte Cochetel - ob sich die Geberkonferenz nun als Erfolg erweise oder nicht.