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Ein Märtyrer und Gottseibeiuns

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer und Konstanze Walther

Politik

Das Berufungsgericht in Brasilien bestätigte die Verurteilung von Lula wegen Korruption und erhöhte sogar noch die Haftstrafe.


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Porto Alegre. Die Berufung vor dem Obersten Gerichtshof steht noch aus. Und nein, er muss noch nicht sofort ins Gefängnis. Und bis dahin gilt es für Brasiliens Linke die Hoffnung nicht zu verlieren.

Theoretisch haben am Mittwoch die Richter der zweiten Instanz entschieden, dass der brasilianische Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (72) ins Gefängnis muss. Das Berufungsgericht in Porto Alegre sah es als erwiesen an, dass sich der ehemalige brasilianische Präsident (2003 bis 2011) sich der passiven Korruption schuldig gemacht hat. Damit bestätigten alle drei Richter einhellig ein im Juli gefälltes Urteil, das Lula in erster Instanz schuldig sprach. Sie erhöhten sogar das Strafmaß um drei Jahre. Er soll nun 12 Jahre und einen Monat in Haft.

Dabei geht es in diesem Prozess um ein Luxus-Apartment mit dem der Übervater der linksgerichteten Arbeiter-Partei "PT" geschmiert worden sein soll.

Lula hat die Vorwürfe stets bestritten und spricht von einer politischen Kampagne, die seine Teilnahme am Präsidentschaftswahlkampf verhindern soll. Am 7. Oktober wird in Brasilien ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Er sei "extrem ruhig" was die Vorwürfe gegen ihn angingen, sagte Lula noch am Mittwochmorgen. Und tat, was er am besten kann: Er schüttelte Hände beim Besuch der Gewerkschaft für das metallverarbeitenden Gewerbe.

So dramatisch das Urteil für Lula als Mensch ist, für den "PT" ist es eine Katastrophe. Denn es gibt derzeit keine personelle Alternative. Natürlich hat man nun zumindest einen Slogan für den Wahlkampf: "Freiheit für Lula". Manche sehen darin eine Steilvorlage für die Mobilisierung. Brasilien hat schließlich eine lange Tradition starken Bewegungen der Zivilgesellschaft, um die es aber in den Jahren unter der inzwischen abgesetzten PT-Präsidentin Dilma Rousseff ruhig geworden ist.

Am Mittwoch haben zumindest schon tausende Lula-Anhänger dem Aufruf der Arbeiterpartei gefolgt, um in Porto Alegre um rund um das Gerichtsgebäude für Lula zu demonstrieren. Aber auch Gegner des Präsidenten zeigten Flagge. Auf Twitter feierten Lulas-Gegner das Urteil in der Fußball-Sprache "3 zu 0 - Tooooor", war oft zu lesen, man ließ bildlich die Sektkorken knallen.

Mit dem Urteil sind die Fronten für den Wahlkampf nun jedenfalls geklärt.

Die Juristen streiten sich inzwischen bestens darüber, ob Lula nicht vielleicht doch antreten kann. Urteil hin oder her. Es wird ja vielleicht noch aufgehoben werden, beim Obersten Gericht. Seine Chancen stehen allerdings nicht besonders gut, seine Anhänger hatten darauf gehofft, dass es abweichende Meinungen unter den Richtern geben werde, um einen Angelpunkt für den Rekurs zu haben. Dem ist nun nicht so.

Der Marsch durch die Instanzen

Ob er nun tatsächlich ins Gefängnis muss, wird sich ohnehin erst nach einem weiteren Marsch durch weiter Revisionsinstanzen zeigen. Und in Lateinamerika haben Politiker, die ins Gefängnis müssten, aber sich ins Ausland absetzen große Tradition. Am Freitag wird Lula übrigens zu einem Welthunger-Forum der UN-Organisation FAO in Äthiopien erwartet.

Trotzdem gehen einige Analysten davon aus, dass Lulas politische Karriere damit beendet ist. Dafür wird der "Fall Lula" nun den brasilianischen Wahlkampf bestimmen. Schon jetzt inszeniert der "PT" den Ex-Präsidenten als Opfer einer politischen Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft, obwohl diese auch Spitzenpolitiker aus anderen politischen Lagern zur Rechenschaft zog. Es sei Zeit zur Radikalisierung, kündigte die umstrittene Parteichefin Gleisi Hoffmann an, die bereits vor der Gerichtsverhandlung indirekt mit einem Gewaltaufruf kokettierte. Mit im Boot die Medien, die je nach politischer Positionierung Lula als Täter oder Opfer präsentieren. Die Losung "Freiheit" wird prägend für den Wahlkampf sein, Lula wird als "politischer Gefangener" präsentiert.

Dass sein Vergehen im Vergleich zu den Korruptionsfällen anderer Politiker vergleichsweise klein ist, wird diese Lesart unterstützen. Lula selbst kündigte schon im Vorfeld an, seine politische Arbeit fortsetzen zu wollen. Der "PT" hat nun gar keine andere Wahl mehr, als Lula zu dem Spitzenkandidaten zu machen. An Lula festhalten. Alles andere wäre ein Schuldeingeständnis. Eine dringend notwendige inhaltliche und personelle Erneuerung sowie eine Aufarbeitung der eigenen Skandale werden damit unmöglich. Die Wahlen im Oktober werden damit zu einer Abstimmung über Lulas Schuld oder Unschuld. Politische Konzepte für die Zukunft, die das krisengeschüttelte Brasilien dringend bräuchte, geraten dagegen in den Hintergrund.